Wirksam und verträglich: Kinder mit pflanzlichen Medikamenten behandeln
Pflanzliche Medikamente für Kinder
"Nicht anwenden bei Kindern unter 12 Jahren?" Nur nicht verunsichern lassen, wir sagen Ihnen, was dieser Satz bedeutet.
Von: Eva Pantleon
Natürliche Mittel für Kinder besonders beliebt
Ob Schnupfen, Bauchweh oder Windel-Dermatitis – wenn es bei den Kleinen irgendwo zwickt und zwackt, greifen Mama und Papa am liebsten zu natürlichen Mitteln. Das bestätigen nicht nur viele Kinderärzte, sondern zeigt auch eine Studie der Leipziger Kinderklinik von 2010. Für diese wurden 413 Eltern zum Einsatz pflanzlicher Arzneimittel befragt. Fazit: Besonders bei Erkältungs- sowie bei Magen-Darm-Erkrankungen behandeln 86 Prozent der Eltern ihre Kinder nach Möglichkeit mit einem pflanzlichen Arzneimittel.
Was der Kinderarzt sagt
„Es ist also ein großes Vertrauen, das diesen Arzneimitteln von unseren Patienten entgegengebracht wird“, resümiert der Kinderarzt Dr. Dietrich Schultz in einem Beitrag für das Komitee Forschung Naturmedizin e.V. (KFN). Er selbst schätzt Phytotherapeutika als „wirksame, verträgliche und unschädliche Arzneimittel“. Allerdings verweist er auch kritisch darauf, dass pflanzliche Heilmittel häufig in nahezu „mythologischer Wertigkeit mit Begriffen wie 'Mutter Natur' und 'ganzheitlicher Natürlichkeit' belegt“ würden. Und diese Assoziationen würden von Herstellern solcher Arzneimittel als Verkaufsargument verwendet - nicht selten, so Schultz, „als Ersatz für fehlende wissenschaftliche Daten und sachliche Argumente“. Gerade diese seien für ihn als Arzt aber das entscheidende Kriterium, „das eine Präparat dem anderen vorzuziehen oder eine forschende Pharmafirma für kompetenter zu erachten, als jene, die sich lediglich auf ungeprüfte Erfahrungswerte beruft“.
„Mutter Natur“ als Marketing-Hit
Doch dem Nicht-Arzneikundigen stehen solche Informationen in den seltensten Fällen zur Verfügung. Und so mögen sich auch Mittel mit mangelhafter Forschungslage bestens verkaufen – wenn nur das Marketing stimmt. Schließlich können wohl die wenigsten Laien erklären, was der Unterschied zwischen Phytotherapie und alternativmedizinischen Disziplinen wie Homöopathie oder Bach-Blüten-Therapie ist – oder ahnen nicht mal, dass da überhaupt ein Unterschied besteht. So moniert auch Dr. Ulrike Kastner vom Kinderspital in Wien: "Phytotherapie wird allzu oft mit komplementärmedizinischen Disziplinen (...) vermengt oder ihnen gleichgestellt; zu Unrecht, denn Fertigzubereitungen aus pflanzlichen Drogen unterliegen einem strengen Zulassungsverfahren mit nahezu den gleichen Anforderungen wie für synthetische Arzneimittel betreffend Qualität, pharmakologische Wirkungen, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit" Solche modernen Phytopharmaka bzw. im Fachjargon "rationale Phytopharmaka" genannt, erkennt man an der Zulassungsnummer (Zul.-Nr. bzw. EU-Nr.), die zusätzlich zur PZN (Pharmazentralnummer) vergeben wird. Diese Produkte sollten bevorzugt zum Einsatz kommen, da die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durch wissenschaftliche Studien gesichert ist.
Nicht anwenden bei Kindern unter 12 Jahren?
Diese strenge Kontrolle der Phytopharmaka aber ist Segen und Fluch zugleich: Einerseits garantiert sie ein sicheres pflanzliches Arzneimittel. Andererseits aber bringt sie Anwendungsbeschränkungen mit sich, die so manchen Phyto-Kundigen ratlos den Kopf schütteln lassen mögen.
Schließlich sind Heilkräuter und daraus produzierte Phytopharmaka für Kinder besonders gut geeignet, da sie von den kleinen Patienten in der Regel sehr gut vertragen werden. Leider aber fehlen oft klinische Studien, welche die Unbedenklichkeit solcher Präparate oder auch einzelner Drogen für Kinder belegen. In diesem Fall sind seit 2006 aufgrund einer neuen EU-Verordnung im Beipackzettel Standardsätze zu lesen wie: „Nicht anzuwenden bei Kindern unter 12 Jahren“ oder „Kinder unter 6 Jahren: Das Arzneimittel sollte in dieser Altersgruppe in der Regel nicht angewendet werden“. Solche K.O-Sätze erscheinen selbst dann, wenn Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei Erwachsenen bestens belegt sind und die Präparate oder Einzeldrogen seit langem bei Kindern angewendet werden - wie hier z. B. bei Salbei oder Schlüsselblume.
Im Paragraphen-Dschungel: NEM oder Arznei?
Ganz anders ist die Lage bei einigen alternativen Naturheilmitteln. Schließlich sind z. B. Bachblüten nicht als Arzneimittel anerkannt, sondern nur als Nahrungsergänzungsmittel. Das bedeutet, sie dürfen eigentlich nicht zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden. Andererseits müssen sie aber auch keinen Qualitäts-, Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweis im Sinne des Arzneimittelgesetzes erbringen. Somit entsteht die etwas paradoxe Situation, dass verunsicherte Eltern sich aufgrund des Beipackzettels eher gegen das wirksame Phyto-Medikament entscheiden könnten. Stattdessen wird dann vielleicht ein alternatives Heilmittel gewählt, dessen Wirksamkeit unklar und wohl eher im Placebobereich zu suchen ist.
Und so mahnt Ulrike Kastner in einem Beitrag zum Thema sicher nicht zu Unrecht: Der behandelnde Arzt solle „Sicherheit bei Fragen der Phytotherapie demonstrieren, damit die Versorgung mit Arzneimitteln pflanzlicher Herkunft auch weiterhin eine Domäne der rationalen Medizin bleibt und nicht in die unkontrollierbare Nische der Paramedizin und Selbstmedikation abgleitet, die mitunter auch einmal für den kleinen Patienten gefährlich werden kann“.
Die Lösung: Anwendungsbeobachtungen
Erfreulich in diesem Kontext ist daher, dass aus dieser gesetzlich etwas unglücklichen Situation in den letzten Jahren vermehrt ein Ausweg gefunden wird: Zwar sind für viele Hersteller pflanzlicher Heilmittel große klinische Studien für die Zielgruppe Kinder immer noch nicht finanzierbar. Doch das Zauberwort heißt: Anwendungsbeobachtung. Und in diesem Fall sind es oft die Kinderärzte selbst, die aktiv werden. So berichtet etwa die Ärztezeitung von einer Anwendungsbeobachtung, die von Kinderärzten durchgeführt wurde: Diese untersuchte Nutzen und Verträglichkeit eines alkoholfreien Extrakts aus Thymiankraut bei 204 Kindern im Alter zwischen einem und zwölf Jahren. Die Kinder hatten eine akute Bronchitis oder einen Katarrh der oberen Luftwege. Ergebnis: Am fünften Tag nach Behandlungsbeginn waren Husten, Schmerzen beim Husten, Produktion zähflüssigen Schleims sowie gestörter Nachtschlaf deutlich zurückgegangen. Die Wirksamkeit des Medikaments wurde von 90 Prozent der behandelnden Kinderärzte mit gut bis sehr gut beurteilt.
Ebenfalls in der Altersgruppe der Ein- bis Zwölfjährigen wurde ein Extrakt aus Thymian und Primelwurzel untersucht. Je nach Schweregrad des Hustens und der Zahl der Hustenanfälle betrug die Symptomlinderung nach drei bis vier Tagen zwischen 59 und 92 Prozent. Der Extrakt ist heute für Kinder ab 6 Monaten zugelassen, enthält allerdings 4,9 Prozent Alkohol.
Alkohol im Hustensaft - oder was geb ich meinem Kinde?
Und genau das ist ein weiteres Problem, das Eltern im Umgang mit Phytopharmaka Kopfzerbrechen bereitet – wenn auch zu Unrecht. Denn tatsächlich werden, so Prof. Dr. Karen Nieber vom Institut für Pharmazie der Universität Leipzig, mit Phytopharmaka „sehr geringe maximale Blutalkoholkonzentrationen erreicht: etwa 0,008 Promille bei Einnahme eines Phytopharmakons mit 12 Prozent Alkohol oder 0,015 Promille durch die Einnahme eines Phytopharmakons mit 30 Prozent Alkohol“. Im Übrigen sei zu bedenken, dass Kinder Alkohol nicht nur durch pflanzliche Arzneimittel aufnehmen.
So enthält zum Beispiel eine reife Banane etwa 0,3 Prozent und Apfelsaft etwa 0,4 Prozent Alkohol. Hochgerechnet bedeutet das: Ein Glas Apfelsaft enthält immer noch doppelt so viel Alkohol wie eine Erwachsenen-Dosierung von z. B. „Iberogast“-Tropfen. Und diese weisen immerhin stolze 31 Prozent Alkohol auf.
Laut Nieber besteht somit „bei der vorschriftsmäßigen Anwendung von Phytopharmaka mit Alkohol für Kinder keine Gefahr“. Und das gilt insbesondere, wenn die richtige altersgemäße Dosierung gewählt wird – was allerdings ein weiteres Problem darstellt.
Wie viele Tropfen sind altersgemäß?
Selbst Ärzte und Apotheker stehen häufig vor dem Problem, Phytopharmaka altersgerecht zu dosieren, denn genaue Richtlinien zur Dosierung im Kindesalter gibt es bislang nicht. Zwar finden sich bei Fertigzubereitungen zuweilen Dosisempfehlungen. Diese sind meist von Studien an Erwachsenen abgeleitet sind und wirken durch sehr schwammige Angaben zuweilen etwas unseriös (z. B. „Dosierung bei Säuglingen und Kleinkindern 3-5 x tgl. 5-15 Tropfen“). Schließlich sollte bei Kindern ebenso wie bei den synthetischen Medikamenten eine Anpassung der Dosis nach Körpergewicht, Alter und Körperoberfläche berücksichtigt werden.
Als grobe Richtlinie für unter 12-Jährige gilt hier nach Prof. Heinz Schilcher folgende Faustregel: Erwachsenendosis multipliziert mit dem Quotienten aus Alter und (Alter+12).
Als Formel: Erwachsenendosis x (Alter/Alter+12).
Für 12 - 18-Jährige wird ½ bis ¾ der Erwachsenendosis empfohlen, oder die Faustregel 5 Prozent der Erwachsenendosis pro Lebensalter.
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