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Komplementärmedizin in der Praxis

Ein Löwenzahn liegt vor einem braunem Fläschchen mit Tabletten.
© stock.xchng

Der diagnostisch-therapeutische Prozess aus Sicht von Hausärzten

Die Mehrheit der Patienten möchte mittlerweile, dass naturheilkundliche Verfahren zumindest Teil ihrer Behandlung sind. Wie stehen Hausärzte zu dieser Entwicklung?

Von: Berthold Musselmann

Die Nachfrage auf Patientenseite nach Naturheilverfahren steigt, entsprechend bieten auch immer mehr niedergelassene Ärzte diese Methoden an. Doch wie beurteilen komplementärmedizinisch arbeitende Ärzte den Erfolg von Naturheilkunde im Gesundheitssystem ausgehend von ihren persönlichen Erfahrungen aus der Praxis? Was sind aus Sicht der Ärzte die Gründe für die Tatsache, dass über 70 % der Patienten sich mindestens zusätzlich zur konventionellen Medizin auch naturheilkundlich behandeln lassen wollen? Wie stellen Naturheiler ihre Diagnosen? Wie und warum wirken Naturheilverfahren? Was sind die Besonderheiten der Arzt-Patienten-Beziehung in diesem Feld?

Studie zur Rolle der komplementären Medizin

Diese Fragen sind in Deutschland bisher wenig untersucht und waren Gegenstand unseres Forschungsprojektes*.

Als Hauptpunkte wurden von den Ärzten diskutiert

  • Stellenwert von Komplementärmedizin (KM) im deutschen Gesundheitssystem
  • Wie beurteilen Ärzte die diagnostisch-therapeutischen Prozesse, die beim Einsatz von KM zum Tragen kommen?
  • Welche Faktoren wirken bei der Behandlung eines Patienten mit KM?
  • Wie gestaltet sich die Arzt-Patient-Beziehung bei Ärzten, die komplementärmedizinisch behandeln?

Durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 wurden bis auf Ginkgo bei fortgeschrittener Demenz, Johanniskraut bei mittelschweren Depressionen, Flohsamen bei Verstopfung (nur spezielle Situationen), Mistel begleitend bei Krebserkrankungen und wenigen seltenen Ausnahmen fast alle Phytotherapeutika und Homöopathika als nicht verschreibungspflichtige Medikamente aus der Erstattungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenkasse genommen. Trotz dieser Fehlentscheidung bleiben Naturheilverfahren unverändert populär. Ende 2008 hatten 58.000 Ärzte (2005: 46.000) Zusatzbezeichnungen aus dem Bereich Naturheilverfahren, mehr als eine Verdreifachung gegenüber 1993.

Ergebnisse der Studie

Einen Teil der wichtigsten Ergebnisse der Studie hatten wir in zwei Beiträgen zum Thema in Kürze geschildert:

Im Teil I:

Naturheilverfahren sind sehr beliebt, mit deutlich steigender Tendenz. Von offizieller Seite ist die Förderung sehr bescheiden. Das Feld Heilpraktiker wird von den Ärzten sehr kontrovers diskutiert, aber keineswegs nur negativ gesehen.

Die Qualität in der Naturheilkunde muss steigen, fragwürdige Verfahren müssen ausgegrenzt bzw. besser untersucht werden. Aus-, Fort- und Weiterbildungen in Naturheilverfahren müssen dringend intensiviert und verbessert werden. Studenten an Universitäten hören viel zu viel Spezialmedizin, d.h. die häufig hoch spezialisierten Felder der Universitätslehrer sind im Vergleich zur medizinischen Wirklichkeit, die Ärzte im Beruf erwartet, geradezu absurd überrepräsentiert. Basismedizin müsste wesentlich eingehender gelehrt werden. Auch Naturheilverfahren sind für Studenten ein höchst wichtiges Thema, wenn man bedenkt, dass 70-80 % ihrer späteren Patienten diese angeblichen „Außenseitermethoden“ bei ihrer medizinischen Versorgung mit berücksichtigt haben möchten.

Vermehrte Forschung wäre wichtig. Für Forschung sind im Gebiet Naturheilkunde aber viel zu wenig Mittel vorhanden, da sich mit diesen Verfahren und Medikamenten viel weniger Geld verdienen lässt als mit konventionellen. Viele Phytopharmaka sind nur schwer patentierbar und damit schlecht exklusiv vermarktbar. Forschung auf diesem Feld ist häufig schwieriger, z.T. kaum möglich, zumindest mit den Methoden, die die Schulmedizin anerkennt.

Im Teil II:

Nach Meinung der diskutierenden Ärzte wäre schon über eine bessere Honorierung der sprechenden Medizin ein wichtiger Schritt für die Naturheilkunde getan. Diese Verfahren werden im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nahezu nicht vergütet, abgesehen von speziellen Programmen einzelner Krankenkassen zu Akupunktur, Homöopathie und einigen wenigen anderen Verfahren, die jedoch, abgesehen von Homöopathie, zu gering vergütet werden.

Von mehreren Ärzten wurde postuliert, dass sich mit einem vermehrten Einsatz von Naturheilverfahren die Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich senken ließen. Dies wurde einerseits mit geringeren Therapiekosten (weniger, günstigere Medikamente, mehr ordnungstherapeutische Maßnahmen), weniger Nebenwirkungen und einer höheren Quote an Dauerheilungen (Wiederherstellung des Kohärenzgefühls), anderseits damit begründet, dass Patienten mehr Eigenverantwortung übernehmen, also auch mehr Gesundheitsvorsorge betreiben und Gesundheitsbewusstsein bilden, ein Gefühl eines leistungsfähigen, nicht vom Medizinsystem abhängigen Organismus (Antimedikalisierung, Antichronifizierung) entwickeln und dass folglich weniger Arztbesuche anfallen würden. Das scheint dem gängigen Medizinsystem jedoch zuwiderzulaufen, das vor allem belohnt, Patienten in chronisch krankem Zustand dauerzuversorgen.

Die Meinungen der Hausärzte gegenüber den Heilpraktikern sind geteilt

  • Gefahren beim Thema Heilpraktiker werden in der nach Meinung der Ärzte ungenügenden Ausbildung gesehen, um bei bestimmten Erkrankungen Gefahren zu erkennen und die Dringlichkeit einer konventionellen Therapie abzuschätzen. Kritisch sahen die Ärzte außerdem, dass Heilpraktiker ihrer Meinung nach dem Patienten für jede Beschwerde eine oft „eindimensionale“ Erklärung bieten, was zu einer Entstehung vereinfachter und teilweise falscher medizinischer Theorien führt.
  • Damit leisteten Heilpraktiker nach Meinung der Ärzte durch vorschnelle, eindimensionale medizinische Begründungen, die dann beim Patienten als Diagnosen „kleben bleiben“, einer Pathologisierung banaler Beschwerden Vorschub. Auf Seiten des Heilpraktikers würde so manchmal ein therapeutischer Bedarf geschaffen, der in Extremfällen insbesondere bei Patienten mit nicht therapierbaren Erkrankungen oder schlechter Prognose zu Abhängigkeiten und finanzieller Ausbeutung führt.
  • Oft wird nach Meinung der Ärzte bei „Heilpraktiker-Diagnosen“ dem Patienten keine (Mit-)Verantwortung für seinen Zustand gegeben, sondern ein „Feind von außen“ verantwortlich gemacht (z. B. Pilzbefall im Darm).
  • Diesen kritischen Äußerungen standen eine Reihe positiver Argumente gegenüber wie z. B., dass Patienten, die zum Heilpraktiker gehen, eine Zuwendung auf Augenhöhe („HP als Freund“) suchen, die sie dort oft finden. Die Patienten fühlen sich dadurch auch emotional besser aufgefangen und aufgehoben beim Heilpraktiker als beim (Haus-) Arzt. Dies mag eine gute Compliance zur Folge haben und kann die Führung des Patienten erleichtern.
  • Damit hängt auch das vorgebrachte Argument zusammen, dass Heilpraktiker mehr auf der Seite der Patienten stehen und damit eine Art Selbsthilfe bzw. Laienhilfe repräsentieren.
  • Letztlich ist für die Beliebtheit der Heilpraktiker in den Augen der Ärzte insbesondere die Tatsache verantwortlich, dass Heilpraktiker sich mehr Zeit nehmen und sich somit dem Patienten individueller zuwenden (können). Außerdem fiel das Argument, dass therapeutische Effekte möglicherweise oft schon durch eine vorhandene „Heiler-Aura“ des Heilpraktikers entstehen.
  • Die Notwendigkeit zur - auch öffentlichen - Abgrenzung gegenüber Heilpraktikern wird von den teilnehmenden Ärzten mehrheitlich für notwendig gehalten, wobei die Grenzziehung gerade im Hinblick auf die IGeL-Situation im komplementärmedizinischen Bereich für schwierig gehalten wird. So werden naturheilkundlich arbeitende Ärzte von Patienten oft unter der Bezeichnung „Heilpraktiker“ subsummiert.
  • Wie aus dem obigen Zitat hervorgeht sahen einige Ärzte verbunden mit der mangelnden (öffentlichen) Abgrenzung von Heilpraktikern das Problem der fehlenden Solidarisierung innerhalb der Gruppe naturheilkundlich tätiger Ärzte sowie einer fehlenden, schlagkräftigen, öffentlichkeitswirksamen Gesamt-Vertretung.
  • Es kam auch das Argument, dass man Heilpraktiker zwar als Konkurrenz sehen muss, aber dass von ihrem Erfolg auch viel über die Defizite des gegenwärtigen Medizinsystems lernen kann. Patienten beklagen häufig die fehlende Menschlichkeit, die fehlende Zeit und Empathie bei Ärzten.

Die genauen Ergebnisse zum diagnostisch-therapeutischen Prozess sind in den Veröffentlichungen nachzulesen und werden von mir in den Beiträgen "Wege der Heilung" näher behandelt.

Ihr

Berthold Musselmann

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