Vergesslichkeit: Nur ein bisschen schusselig oder schon dement?
Vergesslichkeit: Ursachen erkennen und behandeln
Jeden lässt mal das Gedächtnis in Stich. Ältere Menschen befürchten meist gleich eine Demenz. Vergesslichkeit kann jedoch viele Ursachen haben. Und die gute Nachricht: man kann Demenzerkrankungen auch vorbeugen.
Von: Inge Behrens
Wie viel Vergesslichkeit ist eigentlich normal?
„Wo habe ich bloß das Auto geparkt?“ Oder „wo habe ich nur meine Brille hingelegt?“ Solche Gedächtnispannen sind jedem schon passiert. Und wem lag nicht schon mal ein Begriff auf der Zunge, aber das Wort wollte einfach nicht herauskommen. Fast jeder leidet mal unter Vergesslichkeit, Konzentrationsschwäche oder Störungen des Kurzzeitgedächtnisses. Von solchen geistigen Aussetzern lassen sich junge Menschen meist nicht beunruhigen.
Haben Menschen jedoch erst einmal die Lebensmitte überschritten, wird jede Schusseligkeit schnell als ein bedrohliches Anzeichen dafür gewertet, dass es mit dem Gehirn bereits bergab gehe. Viele Ältere sehen dann schon das Damoklesschwert „Demenz“ über ihrem Kopf schweben.
Vergesslichkeit als Zeichen von Intelligenz
Bis zu einem gewissen Grad ist jedoch Vergesslichkeit normal, und sie kann sogar ein Zeichen von Intelligenz bzw. von Beschäftigung mit komplexen Inhalten sein. Denn schlaue Menschen merken sich nur die wichtigsten Dinge und vergessen unnötige Details. Sobald der Hippocampus mit neuen Eindrücken beliefert wird, werden die alten und somit unwichtigeren Daten überschrieben. Man denke nur an den zerstreuten Professor, der viele alltägliche Dinge vergisst.
Wenn die Vergesslichkeit zunimmt...
... und normale Alltagsabläufe zum Problem werden, sollte man einen Arzt zu Rate ziehen. Denn zunehmend vergesslich zu sein, kann auch ein Warnsignal für verschiedene Erkrankungen, darunter auch Demenzerkrankungen, sein.
Sofern dieser dann bestätigt, dass der Patient vergesslicher als zuvor ist, muss es sich dennoch nicht gleich um eine Demenzerkrankung handeln. Vergesslichkeit kann viele Ursachen haben. Beispielsweise könne auch ein Abbau von Hirnsubstanz durch Bluthochdruck mit Vermehrung des Hirnwassers Gedächtnislücken oder Gedächtnisschwäche hervorrufen, erklärt der Allgemeinmediziner Dr. med. Berthold Musselmann aus Wiesloch. Dieser sogenannte Normaldruckhydrozephalus ist im Kernspin (MRT) oder CT (Computertomographie) des Kopfes zu erkennen und bei Menschen über 70 gar nicht so selten. Daran denken sollte man, wenn ein zunehmend breitbeiniger Gang, Kontinenzprobleme und langsamer aber stetiger geistiger Abbau zusammen auftreten. Durch Ablassen von Hirnflüssigkeit (Liquor) oder Dauerableitung kann man hier deutliche Besserung erzielen.
Welche Ursachen gibt es für Vergesslichkeit?
Ebenso kann auch eine obstruktive Schlafapnoe zu Gedächtnisschwund führen, da das Gehirn dadurch mit zu wenig Sauerstoff versorgt wird. Obstruktiv bedeutet, dass während des Schlafes durch eine Atmungsstörung die oberen Atemwege teilweise oder komplett blockiert werden – und das wiederholt, bis zu 100 Mal in der Nacht.
Allgemeiner Flüssigkeitsmangel, Stress, Erschöpfung, Schlafstörungen, Eisenmangel oder Vitamin B12-Mangel sind weitere Faktoren, die zu Gedächtnisstörungen führen können.
Vergesslichkeit während der Wechseljahre
Was wenige Frauen ahnen: auch in den Wechseljahren kann es aufgrund der hormonellen Umstellung zu Gedächtnisproblemen kommen. Nicht selten leiden die Betroffenen unter Wortfindungsschwierigkeiten. „Wenn das Östrogen plötzlich zurückgeht, ist die neuronale Verschaltung der Nervenzellen im Gehirn gestört. Dadurch ist das assoziative Denken verringert“, erklärt Dr. Musselmann.
Wie Vergesslichkeit und Depression zusammenhängen
Nicht zuletzt werde häufig Demenz und Depression verwechselt. Auch diese psychische Erkrankung beeinträchtigt die Gehirn- und Gedächtnisleistung. Soziale Isolation führt bekanntermaßen gerade bei älteren Menschen nicht selten in die Depression, die wiederum Vergesslichkeit mit sich bringt. Medikamente können ebenfalls negative Effekte auf das Gedächtnis haben. „Insbesondere Beruhigungsmittel wie „Valium“ (Diazepam), allgemein sogenannte Benzodiazepine und auch Z-Substanzen wie Zopiclon, Zolpidem, als Schlafmittel bekannt, erhöhen tatsächlich das Demenzrisiko und können Sucht erzeugen", warnt Dr. Berthold Musselmann, ärztlicher Leiter von Phytodoc.de. Man sollte sie deshalb so kurz wie möglich, normalerweise nicht länger als 10 Tage einnehmen.
Vergesslichkeit im Alter
Mit zunehmendem Alter können sich kleine Gedächtnispannen häufen. Diese sind meist völlig harmlos und dem natürlichen Alterungsprozess geschuldet. Nicht von ungefähr bezeichnet der Volksmund diese Gedächtnisschwäche als Altersvergesslichkeit. Gerade ab einem Alter von 60 Jahren ist deshalb das alleinige Symptom „Vergesslichkeit“ kein Anzeichen für Demenzerkrankungen.
Allerdings muss im Alter nicht zwangsläufig die Gedächtnisleistung samt Merkfähigkeit und Konzentrationsvermögen nachlassen. Klagt ein Patient darüber vergesslich zu sein, muss der Arzt dessen allgemeinen Gesundheitszustand mit dem vorherigen abgleichen. Wenn dessen Geisteskraft nicht schleichend, sondern plötzlich nachlässt, spricht einiges dafür, dass hinter dessen Leistungsabfall eine körperliche Erkrankung wie eine Schilddrüsenunterfunktion oder gar ein leichter Schlaganfall stecken könnte. Auch ein Hirntumor oder eine Erkrankung des Zentralnervensystems wie Morbus Parkinson und besonders Durchblutungsstörungen und Arteriosklerose kommen als Ursache in Frage.
Vergesslichkeit: Wann sollten Sie zum Arzt?
Ob bei Menschen mittleren oder höheren Alters, wenn neben der Vergesslichkeit typische weitere Symptome auftreten, sollte man in jedem Fall den Verdacht auf Demenz durch einen Arzt überprüfen lassen. Dazu zählen zuvorderst mangelndes Orientierungsvermögen, also die Unfähigkeit, sich räumlich in vertrauter Umgebung zurechtzufinden sowie häufiges Verlaufen. Auch wenn Betroffene Probleme bei Bankgeschäften haben, etwa vergessen, wichtige Überweisungen zu tätigen oder hierbei häufig die Konten verwechseln, könnte all dies ein Hinweis auf eine Demenzerkrankung sein. Nicht zuletzt seien Veränderungen und Auffälligkeiten im Verhalten wie Takt- und Schamlosigkeit ein mögliches Indiz, weiß Dr. Musselmann.
„Um festzustellen, ob die Vergesslichkeit zugenommen hat, muss man als Arzt wissen, wie die prämorbide Persönlichkeit, also die Persönlichkeit vor dem Eintreten der Symptome gewesen ist. Erst dann kann der Arzt die Symptome einschätzen“, so der Schul- und Naturheilmediziner.
Welcher Arzt kann bei Vergesslichkeit helfen?
Welcher Arzt kann bei Vergesslichkeit helfen?
Erste Anlaufstelle sollte immer der Hausarzt sein. Dieser kann gegebenenfalls zu einem Spezialisten, dem Neurologen, überweisen.
Diagnose: Was untersucht der Arzt?
Um abzuklären, ob eine Demenz tatsächlich vorliegt, können orientierende Demenztests Hinweise liefern, müssen aber durch eine körperliche Komplettuntersuchung mit Laborwerten ergänzt werden. Es sollte bei anhaltenden Gedächtnisproblemen mit Konzentrationsschwäche eine Kernspintomografie vom Kopf durchgeführt werden. Sie gibt Hinweise, ob Grunderkrankungen vorliegen und unter welcher Demenzform der Patient leidet, erklärt Dr. Musselmann. Die Bilder machen Veränderungen der Blutgefäße und Ablagerungen, sogenannte Plaques, im Gehirn oder den Abbau von Hirnsubstanz sichtbar.
Wird eine Hirnregion nicht ausreichend durchblutet, sterben Nervenzellen ab. In diesem Fall sprechen Mediziner von vaskulärer Demenz. Ein häufiger Risikofaktor ist Bluthochdruck, der mitbehandelt werden muss.
Plaques hingegen verhindern die Kommunikation der Nervenzellen, da sie den wichtigen Botenstoff Acetylcholin, der Informationen im Gehirn überträgt, blockieren. Sie sind auch für die Lewy-Körper-Demenz und den Morbus Alzheimer, die häufigste Form der Demenz, verantwortlich. Bis heute ist nicht erforscht, wodurch oder wie diese Eiweißablagerungen entstehen. Allerdings haben Forscher herausgefunden, dass die Alzheimer-Krankheit auf eine vermehrte Ablagerung des Eiweißmoleküls Amyloid in Hirnzellen mit letztlich resultierendem Absterben der Zellen zurückzuführen ist.
Was kann man gegen Vergesslichkeit tun?
Wie kann man vorbeugen?
Nicht nur der natürlichen Altersvergesslichkeit, sondern sogar Demenz kann man erwiesenermaßen vorbeugen wie die Nonnenstudie des Epidemiologen David Snowdon bewies. Über zwei Jahrzehnte lang hatte der Forscher mit 600 über siebzigjährigen Ordensschwestern, die in verschiedenen Klöstern in den USA lebten, jährlich standardisierte Demenztests durchgeführt. Nur wenige Nonnen zeigten Anzeichen einer Demenz.
Die bahnbrechende Erkenntnis dieser Langzeitstudie war, dass nach deren Ableben auch bei den intellektuell leistungsfähigen Nonnen ebenso häufig degenerative Veränderungen im Gehirn nachweisbar waren wie bei der Normalbevölkerung. Das Erstaunliche: Trotz Alzheimer-Plaques waren die Nonnen geistig fit geblieben. Offenbar hatten sich bei ihnen in anderen nicht von Demenz betroffenen Hirnarealen neue Nervenzellen gebildet und zu neuen Netzwerken verschaltet.
Was für Erklärungsansätze gibt es für dieses Phänomen?
Wenn Menschen das Gefühl haben, dass all das, was sie erfahren und was sie wahrnehmen, gut zu ihren eigenen Erwartungen passt, entwickeln sie ein sogenanntes Kohärenzgefühl. „Für Nonnen ist die Welt, in der sie leben, nicht nur verstehbar und von ihnen selbst gestaltbar. Ihnen erscheint auch alles, was in der Welt geschieht und was sie machen, als sinnvoll und in einen größeren Kontext eingebunden“, schreibt der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther in seinem neuen Buch „Raus aus der Demenzfalle“. Deshalb ist auch ihr Kohärenzgefühl deutlich stärker ausgeprägt als das jener Personen, die außerhalb von Klostermauern leben.
Die neuere Forschung bestätigt, dass der Hippocampus einer der wenigen Orte im Gehirn ist, an dem zeitlebens neue Nervenzellen entstehen. Wissenschaftler nennen diesen Vorgang Neuroneogenese. Die neugeborenen Nervenzellen werden in die bestehenden, sehr komplizierten Schaltkreise des Hippocampus eingebaut. Das Gehirn besitzt somit zeitlebens die Fähigkeit, sich zu verändern und anzupassen.
Kleiner Exkurs: Wie funktioniert das Gedächtnis?
Die wichtigste Hirnregion für das Gedächtnis ist der Hippocampus, eine Struktur im Zwischenhirn, in der Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überführt werden.
Nach der Dauer der Informationsverarbeitung lässt sich das Gedächtnis in ein Kurzzeit- und ein Langzeitgedächtnis und nach dem Inhalt der aufgenommenen Informationen in vier Grundtypen unterscheiden: episodisches Gedächtnis (z. B. mein letztes Erlebnis beim Sport), Wissenssystem (z. B. die Sonne ist ein heißer Himmelskörper), prozedurales Gedächtnis (z. B. ein Instrument spielen) und Primingsystem (Wiedererkennen von Reizen, die man zu einem früheren Zeitpunkt unbewusst wahrgenommen hat).
Emotionen verbessern das Erinnerungsvermögen
Die Frage ist, wie man die Bildung neuer Hirnzellen anregen kann. Wichtiger als auf eine gesunde Lebensweise zu achten, ist es, dem Gehirn neue Impulse zu geben. Vor allem, Sinnvolles neu zu lernen, rege die Bildung neuer Gehirnzellen an, ist Dr. Musselmann überzeugt und erklärt weiter: „Alles, was Menschen emotional anspricht und Freude bereitet, fördert die Lust Neues zu lernen und die neu erworbenen Kenntnisse im Langzeitgedächtnis zu speichern“.
Gefühle erhöhen jedoch nicht nur die Merkfähigkeit, sondern sie helfen auch, das Erinnerungsvermögen wieder zu wecken. Dafür spricht das Ergebnis einer anderen Studie, bei der 40 Insassen eines Altersheims in eine Wohnung umzogen, deren Einrichtung dem Stil ihrer Jugend entsprach. Das Gedächtnis der Senioren verbesserte sich binnen kurzer Zeit erheblich.
Die aus Zeiten mit höherer Fitness stammende Umgebung regte die alten Menschen stark an. Wesentlich war es auch, dass in dieser neuen Umgebung von den Menschen kleine Aufgaben übernommen wurden und dass darauf geachtet wurde, dass sie möglichst viel selbst tun.
Gehirnjogging: Was hilft dem Gehirn noch auf die Sprünge?
Das Hören von Musik, aber auch das Erlernen oder Spielen eines Instrumentes, beides scheint gleichermaßen den Geist zu beflügeln. Und auch Sport nützt dem Gehirn. Bewegung lässt Nervenzellen sprießen, steigert die Denkleistung und hilft, Stress abzubauen. Besonders hervorzuheben ist das Tanzen, da hier komplexe Bewegungsabläufe ideal mit geistiger Herausforderung kombiniert werden.
Ganz allgemein gilt: Um im Alter die geistige und auch körperliche Leistungsfähigkeit und Fitness so lange wie möglich zu erhalten, müssen bekannte Risikofaktoren wie Diabetes, Übergewicht, erhöhte Blutfette und Homocystein (mit B-Vitaminen senken), Fehlernährung, Bewegungsmangel, Rauchen und andere Süchte, Depression, Schlafapnoe, Schlafstörungen und Bluthochdruck mitbehandelt und angegangen werden.
Fit und gesund im Alter: Weitere Tipps
Welche pflanzlichen Medikamente helfen bei Vergesslichkeit?
Es gibt auch pflanzliche Mittel, mit denen man bereits begonnene Abbauprozesse im Gehirn verzögern kann. So soll Grüner Tee-Extrakt nachweislich nicht nur bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern auch bei Demenz helfen. Und auch der Extrakt aus den Ginkgo-Blättern soll bei Vergesslichkeit wirksam sein. „Gerade zu Beginn einer Demenz kann Ginkgo viel bringen“, erklärt Musselmann, Experte für Naturheilverfahren. Er rät: Wer ein größeres Demenzrisiko hat, beispielsweise weil er erblich vorbelastet ist, kann den Ginkgo Extrakt vorbeugend in regelmäßigen Intervallen als Kur für vier bis sechs Wochen einnehmen.
Ginkgo biloba bei Vergesslichkeit
Den Nachweis, dass diese chinesische Heilpflanze bei kognitiven Funktionsstörungen hilft und Symptome bei Demenz vom Alzheimer-Typ sowie von vaskulärem Typ lindert, erbrachten erst kürzlich die Forscher der chinesischen Universität Wenzhou Medical Universität, die 10 Reviews und Metaanalysen auswerteten. Aber dies gelte nur für den Ginkgo-biloba-Extrakt EGb 761 und nur für hohe Dosen von 240 Milligramm pro Tag, erklärten die Forscher der Studie.
Quellen/Weitere Informationen
- Interview mit Dr. med. Berthold Musselmann
- Gerald Hüther, Raus aus der Demenzfalle!, München, Arkana Verlag, ISBN 978-3-442-34209-9
- Neue chinesische Metastudie der Wenzhou Uni
- Senioren-Ratgeber
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- Das Gehirn: Neurogenese