Mental Load: Wie die unsichtbare Planungsarbeit in der Familie für Stress sorgt
Wie Mental Load in der Familie aussieht
Endlich wieder daheim! Mein Mann setzt sich mit einem wohligen Seufzen auf das Sofa und lehnt sich an den ungefalteten Wäschestapel. Gegenüber räume ich schnell den Wocheneinkauf in den Kühlschrank, schließlich kommt gleich der Besuch. Plötzlich schreit es aus dem Hintergrund im Kinderzimmer, ein kleines Wesen kommt nach vorne geschossen, rempelt und zack, liegt der Yoghurt in einer Lache auf dem Boden. Mein Mann setzt sich auf, schaut mich groß an und fragt: „Brauchst Du Hilfe?“
Die Frau in der Rolle der Managerin
Während für mich völlig klar ist, dass hier mit angepackt werden sollte und ich die Frage allein schon für eine Beleidigung halte, wollte mein Mann ehrlich helfen. Das Problem: er wusste nicht wie. Oder genauer: was. Denn all diese Aufgaben, die für mich im Alltag offensichtlich sind, entgehen ihm oft. Dabei ist er kein abwesender Vater oder rücksichtsloser Partner - im Gegenteil.
Olaf hat unsere Tochter von Geburt an in der Trage durch Berlin und um die halbe Welt geschleppt. Er macht die Einkäufe, massiert mir die Füße und bastelt abendelang Schattentheater mit unserem Kind. Alle Aufgaben, die er sieht, erledigt er ganz selbstverständlich. Und das ist der Knackpunkt: Alle Aufgaben, die er sieht. In einer gleichberechtigten Beziehung sollten doch beide Partner die Arbeit von alleine sehen können. Oder? Wieso sind es hauptsächlich Frauen, die sich mit der Organisation des Alltags, der Mental Load, herumschlagen und warum ist das so anstrengend?
Was bedeutet Mental Load?
Hinter dem Begriff „Mental Load“ verbirgt sich, kurz gesagt, die unsichtbare Planungsarbeit, die das Leben in einer Familie mit sich bringt. Sie äußert sich in wiederkehrenden Gedanken wie diesen:
- „Jemand muss noch den Müll rausbringen, sonst quillt er über.“
- „Wann muss ich neue Kinderhosen kaufen, weil die anderen zu kurz werden?“
- „Wer besorgt das Geburtstagsgeschenk für die Kindergartenfreundin der Tochter?“
Mental Load ist ständig im Kopf
Dabei geht es nicht unbedingt um das Ausführen der Aufgaben, sondern um ihre Organisation, und darum, wer im Blick behält, dass die Aufgaben auch wirklich erledigt werden. Dabei kollidieren diese niemals abreißenden Gedanken den ganzen Tag über mit anderen, wichtigen Dingen. Die Frage, wer das Kind am Wochenende zu den Großeltern bringt, schiebt die aktuelle Besprechung im Job aus dem Kopf. Die Sorge, ob zu Hause noch genug Handtücher sauber sind oder ob der Trockner angestellt ist, sorgt dafür, dass wir den PIN an der Supermarktkasse vergessen. Das ist erschöpfend, und deshalb emotional auslaugend. Häufig wird deshalb Mental Load auch als emotionale Arbeit bezeichnet, obwohl das nicht ganz korrekt ist.
Alles Elfenarbeit, oder was?
„Dieses Projektmanagement ist in der Wirtschaft ein anerkannter und gut bezahlter Vollzeit-Job, zuhause hingegen unsichtbare Elfenarbeit‘“, sagt die Autorin und Mental-Load-Expertin Patricia Cammarata. Denn sie findet unsichtbar statt. Die Gedanken im Kopf der Frau kommen nicht per Telepathie beim Mann an. So bleibt ein Großteil dieser geistig auslaugenden Arbeit ungesehen. Dabei ist die Frau nicht die bezahlte Managerin der Familie. Sie hat meistens mindestens einen Teilzeitjob und leistet häufig zusätzlich noch drei bis vier Stunden mehr unbezahlte Familien- und Haushaltsarbeit als ihr Partner. Wo Männer häufig spezielle, sichtbare Einzelaufgaben erledigen (Das Auto zum TÜV bringen, die Steuererklärung machen, die Filter im Rauchmelder austauschen), halten Frauen hingegen in den meisten Familien den Normalbetrieb aufrecht. Der große Unterscheid ist: Wenn ein Mann seine Aufgabe nicht erledigt, wird zunächst nichts Großes passieren. Hört hingegen eine Frau auf, die Mental Load im Kopf zu behalten, bricht sofort der Alltag zusammen.
Warum ist das Thema Mental Load wichtig?
Dass das Planen und im Blick behalten von Aufgaben viel anstrengender ist als das Ausführen, zeigt schon ein einfaches Beispiel, wie das Kaufen eines Geburtstagsgeschenks: Nur einige der Mental-Load-Fragen sind:
- Was könnte dem Kind gefallen?
- Was für ein Budget haben wir für das Geschenk?
- Wie ist das Budget der anderen Eltern?
- Bis wann brauchen wir das Geschenk?
- Wo können wir es kaufen?
- Wer geht letztlich ins Geschäft und kauft das Geschenk?
- Wer packt es ein und haben wir überhaupt noch Geschenkpapier?
All diese Fragen habe ich mir schon dutzendmal gestellt, bevor mein Olaf kurz ins Geschäft geht, um es dort zu kaufen. Sichtbar ist aber vor allem der Kauf des Geschenks. Dass ich nebenher Geschenkpapier gekauft habe, das Präsent einpacke, dann daran denke, das Geschenk mit zum Geburtstag zu nehmen und letztlich auch die Quittung aufhebe, falls das Mitbringsel nicht gefällt, geht dabei völlig unter. Diese unsichtbare Tiefe des Arbeits-Eisbergs ist die eigentliche Mental Load. Jemand, der darüber noch nie nachgedacht hat, denkt: Ein Geschenk zu besorgen, bedeutet, in ein Geschäft gehen und es dort kaufen.
Stimmt aber nicht! Deshalb ist es so wichtig, über Mental Load in der Familie zu sprechen: Weil es unsichtbare Arbeit ist, also unsichtbare Anstrengung, für die es weder Raum noch Wertschätzung gibt.
Warum ist Mental Load vor allem ein Problem von Müttern?
Die Antwort ist einfach: Weil der Workload und der Mental Load mit Kindern zunimmt, und weil vieles an unserer Sozialisierung leider immer noch darauf ausgerichtet ist, dass Frauen sich zum größeren Teil um die Familie kümmern. Schon in Kindertagen wird diese Aufteilung unbewusst eingeübt. Jungs und Männern wird es eher verziehen, wenn sie etwas verschlampen. Von Mädchen wird dagegen schon früh Rücksichtnahme und Sorgfalt erwartet. Diese Haltung beeinflusst das Selbstbild von Männern und Frauen und damit ihre Erwartungen an Elternschaft.
Was leidet noch unter Mental Load?
Neben der geistigen Gesundheit der Person, die den Löwenanteil der Mental Load übernimmt, leidet vor allem die Beziehung zum Partner. Die Frau fühlt sich ungesehen, unverstanden, ständig erschöpft. Schlafprobleme und extreme Erschöpfung stellen sich ein, die bis zu Depressionen oder in den Burnout führen können. Durch die fehlende Wertschätzung und Sichtbarkeit der Care-Arbeit leidet das Selbstbild. Viele Frauen rackern sich ab und niemand sieht es. Das frustriert und gibt das Gefühl, den ganzen Tag über nichts geleistet zu haben. Dabei ist Mental Load eben genau das: eine gigantische kognitive Leistung, die permanent im Hintergrund rattert. Und das häufig parallel zum Berufsalltag. Das ist zu viel Arbeit für eine Person. Es ist Zeit, das Ungleichgewicht gerade zu rücken.
Können Männer diese „unsichtbaren Arbeiten“ tatsächlich weniger gut übernehmen?
Die gute Nachricht ist: Sie können das genauso gut. Die gerechte Aufteilung von Arbeit im Job, im Haushalt und der geistigen Mental Load in der Familie ist eine Frage der Sozialisation. Eine gerechte 50-50-Aufteilung lässt sich üben (und testen). Denn Mental Load muss sichtbar gemacht werden, indem wir darüber aufklären und reden. Indem wir über dieses Thema überhaupt sprechen, geben wir uns als Partner gegenseitig die Möglichkeit, an der Mental Load zu wachsen – und somit auch unsere Beziehung zu stärken.
Bei uns funktioniert die gerechtere Aufteilung der Mental Load inzwischen gut, auch wenn mein Mann zwischendurch mal nachts wachgelegen und sich um Kindergeburtstage und zu kurz gewordene Kinderkleider gesorgt hat. Anstelle der anfänglichen Überforderung ist mittlerweile ein gutes Verständnis getreten, wie wir als Team gemeinsam die Übersicht behalten und unsere Mental Load gemeinsam schultern können.
Wie lässt sich die Mental Load besser verteilen?
Wer die Mental Load in der Familie gerecht aufteilen will, fängt am besten in EINEM klar umrissenen Bereich an. Zum Beispiel beim Kochen. Dazu gehören die Einkäufe der Lebensmittel (oder zumindest deren Organisation), Budgetplanung, ein Essensplan für die Woche, ein Überblick über die Vorräte, Abwasch, Tagesplanung und die Wartung der Küchengeräte.
Es genügt, mit einem Bereich anzufangen, und es ist wichtig, miteinander langmütig zu sein. Plötzlich all diese gedankliche Arbeit sichtbar zu machen, kann erschlagen und frustrieren. Besser ist es, gemeinsam Schritt für Schritt die Mental Load zu übertragen.
Wir dürfen nicht vergessen: Als Frau hat man einen Trainingsvorteil durch die jahrelange Erfahrung. Also sollten wir sanft anfangen und dann den Schwierigkeitsgrad Stück für Stück und Aufgabe für Aufgabe erhöhen.
Wir werden damit leben müssen, dass Fehler passieren, gerade am Anfang. Uns hat es geholfen, diese Phasen bewusst als Trainingsphasen zu benennen. Wie jede andere Fähigkeit auch, muss der Umgang mit der Mental Load geübt werden. Es müssen die richtigen Methoden fürs Planungschaos gefunden werden. Manche Strategien, die ich nutze, konnte ich mit meinem Mann teilen. Andere haben für ihn so nicht funktioniert und er musste sich eigene Tricks suchen. Das braucht Zeit und eine Menge Geduld. Aber es lohnt sich, versprochen.
Strategien gegen Mental Load in der Familie
Es gibt zwei Ansatzpunkte, um die Mental Load in der Familie aufzulösen. Der erste ist die Seite des Mannes. Er muss lernen, wie sich die Mental Load überhaupt anfühlt. Das kann beispielsweise geschehen durch:
- Entscheidertage: Der Mann ist verantwortlich für den kompletten Ablauf eines Tages. Er trifft jede einzelne Entscheidung, setzt jeden Impuls und durchdenkt alles. Wichtig ist hierbei, dass die Frau weder hilft noch kommentiert. Wenn Frauen weiterhin unsichtbar Gedankenarbeit wegräumen, bleibt sie ungesehen.
- Mental Load sichtbar machen durch Aufschreiben: Auf einem Set Kärtchen werden alle Alltagsaufgaben bis ins Letzte notiert. Diese Notizen dienen als Lernhilfe und machen deutlich, wie viel Mental Load sich in einer Aufgabe versteckt. Am Ende werden die Karten gerecht verteilt. Jeder Partner ist nun komplett für seine Bereiche verantwortlich. Wie er oder sie das macht, bleibt ihm oder ihr selbst überlassen.
Die zweite Seite ist die des Partners: Er muss lernen, lockerzulassen und hinnehmen, dass die Dinge generell anders geregelt werden, wenn der Mann seinen Teil der Mental Load zu tragen beginnt. Schließlich denkt und arbeitet jeder Mensch anders. Manches wird anfangs schief gehen, vieles wird anders laufen als zuvor. Mental umverteilen bedeutet eben eine große Veränderung. Am wichtigsten ist der Gedanke, dass man hier als Paar an einem Strang zieht und anerkennt, dass es sich beim Übernehmen der Mental Load um eine Lernkurve handelt. Etwas Neues braucht Zeit.
Was tun, wenn es zu viel wird?
Langmut, Humor und Atmen. Ganz ehrlich? Die Neuaufteilung der Mental Load ist nicht leicht. Für mich war es immer wieder unendlich schwer, loszulassen. Zuzusehen, wie plötzlich alles anders läuft, als der Plan in meinem Kopf vorgibt, ist bis heute eine Herausforderung. Olaf dagegen musste gegen das Gefühl ankämpfen, nicht hinterherzukommen. Und er war in den ersten Wochen tatsächlich oft sehr müde. Mental Load bringt eben einiges an Gewicht mit sich. Wenn das plötzlich gespürt wird, mischt sich Erschöpfung mit schlechtem Gewissen.
Heilpflanzen wie Taigawurzel und Rosenwurz können helfen
Diese beiden wirken leistungssteigernd auf geistiger und körperlicher Ebene und stärken deine Widerstandskraft gegen verschiedene Stressoren. Dadurch wird Stress vermindert wahrgenommen und die Erschöpfung setzt erst später ein. Sie haben dabei keine Nebenwirkungen. Sinnvoll ist eine kurmäßige Einnahme von 25 bis 30 Tagen, darauf folgt mindestens eine Pause von ein bis zwei Wochen.
Beachte allerdings folgendes: Es sollte niemals das Ziel sein, Überlastung beiseite zu schieben. Erschöpfung bei Stress ist ein Warnsignal und ein Schutz für den Körper. Sie will dir sagen: "Pass auf Liebes, das ist zu viel. Ruh dich jetzt aus und denk darüber nach, was du ändern kannst." In Zeiten von Corona ist der Mental Load allerdings nochmals um ein Vielfaches höher als ohnehin schon und diesen aufzulösen ist sehr individuell und derzeit leider nicht immer möglich. Taigawurzel und Rosenwurz können dann kurzfristig dabei helfen, den stressigen Alltag in Zeiten wie diesen besser zu verkraften.
Begleitend können auch kurze Pausen für Meditation & Yoga oder ein Spaziergang an der frischen Luft den Mental Load durchbrechen und für andere Gedanken sorgen.
Was uns persönlich hilft
Uns hat es geholfen, immer wieder über unsere Ängste und Sorgen zu sprechen. Und miteinander milde zu sein. Inzwischen sind wir sehr gut darin, gemeinsam Strategien zu finden. Das Beste daran ist: Unsere Tochter wächst mit Eltern auf, die ganz selbstverständlich gleichberechtigt Haushalt und Kinderbetreuung untereinander aufteilen. Ich vermute, dass sie allein durch uns als Rollenvorbilder andere Vorstellungen von Familie und Partnerschaft haben wird als wir. Ich hoffe, sie wird die Mental Load von Anfang an selbstverständlich teilen wollen – einfach, weil sie es nie anders erlebt hat.