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Steckt im Johanniskraut die „volle Energie der Sonne“?

Johanniskrautblüte
© Prof. Dr. Schilcher

Johanniskraut: Sammel- und Kauftipps für gute Produkte

Welche wissenschaftlichen Fakten gibt es zur Wirksamkeit? Was muss beim Sammeln beachtet werden? Außerdem: Kauftipps zu guten Präparaten und Tipps zum richtigen Teekochen.

Von: Prof. Dr. Schilcher

Mystik und wissenschaftliche Forschung miteinander vereint

Es gibt wenige Arzneipflanzen bzw. Heilkräuter, bei denen die mystische Vorstellung zur therapeutischen Wirksamkeit und die nüchternen naturwissenschaftlichen Fakten, die auf intensiver interdisziplinärer Forschung der letzten 30 Jahre beruhen, so konträr gegenüber stehen, wie beim Johanniskraut.

Wirksamkeit verschiedener Johanniskraut-Arzneimittel

Die Vorstellung, dass im Johanniskraut die „volle Energie der Sonne steckt“, weil die Pflanze zum Zeitpunkt der höchsten Sonnenintensität, nämlich um Johanni blüht und damit gegen Depressionen wirksam ist, mag gedanklich vom Ansatz her reizvoll sein, da ja auch von ärztlicher Seite die Lichttherapie zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird, und Depressionen in den lichtreduzierten Jahreszeiten, z. B. im Winter häufiger auftreten als im Sommer.

Die naturwissenschaftlichen Fakten, die immerhin mit einem Forschungsetat von rund 50 Millionen Euro ermittelt worden sind, haben dieser Vorstellung allerdings folgendes entgegen zu setzen:

  1. Je nach den jahreszeitlichen Temperaturen ist die Blütezeit des Johanniskrautes nicht nur um den 24. Juni, sondern von Anfang Juni bis September.
  2. Ausführliche agrarwissenschaftliche und pflanzenphysiologische Studien zeigen, dass die Sonneneinstrahlung nur zu 15 – 20 % die Biosynthese der wirksamen Inhaltsstoffe, dies sind hauptsächlich die Gesamt-Hypericine, die Gesamt-Flavonoide, das Hyperforin und die Xanthine, beeinflusst.
  3. Für die therapeutische Wirksamkeit sind - laut den sehr kostenaufwändigen klinischen Studien - nicht nur ausreichende Mengen an Johanniskraut-Gesamtextrakt, sondern ganz bestimmte Mindestmengen der oben genannten Inhaltsstoffe notwendig. 
  4. Je nachdem, welche der arzneilichen Wirkstoffe und wie viel davon jeweils enthalten ist, sind Johanniskrautzubereitungen bei leichten nervlichen Befindlichkeitsstörungen bis hin zu mittelschweren Depressionen einzusetzen.
  5. Den niedrigsten Wirksamkeitsgrad, aufgrund mangelnder Wasserlöslichkeit einiger Inhaltsstoffe, besitzt der Johanniskraut-Tee. Stärker wirkt der Johanniskraut-Presssaft, gefolgt von einer alkoholisch- wässrigen Johanniskraut-Tinktur. 
Die stärkste Wirksamkeit besitzen standardisierte (d. h. auf einen immer gleichen Wirkstoffgehalt eingestellte) alkoholisch-wässrige Trockenextrakte. Bei Trockenextrakten ist das Auszugsmittel (hier Alkohol- Wasser) wieder vollständig entfernt. Zur Therapie leichter bis mittelschwerer Depressionen ist die tägliche Einnahme von 900 mg Gesamtextrakt notwendig.
Fertigarzneimittel (z. B. Kapseln) mit ausreichenden Extraktmengen und klinischen Studien zur Wirksamkeits- und Unbedenklichkeit werden zur Therapie von mittelschweren Depressionen sogar von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet. Dagegen sind Johanniskraut-Tee, Pulver oder Frischpflanzenpresssaft laut Bewertung der Sachverständigenkommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel lediglich geeignet, das Befinden bei nervlicher Belastung zu verbessern.
Dazu gehören auch alle unterdosierten Johanniskraut-Arzneimittel im freiverkäuflichen Bereich (Drogerie, Supermarkt etc.)

Beim Sammeln von Johanniskraut muss folgendes beachtet werden:

Neben dem arzneilich verwendeten Echten Johanniskraut, auch Tüpfel-Hartheu genannt (Stammpflanze Hypericum perforatum L), existieren in Deutschland noch weitere 16 (!) Johanniskrautarten, davon kommen 5 im Allgäu vor. Obwohl das medizinisch verwendete echte Johanniskraut anhand mehrerer charakteristischer Merkmale gut zu erkennen ist, wird dennoch relativ häufig falsches Johanniskraut gesammelt, z. B. das Berg-Johanniskraut (Hypericum montanum L.) das in Regionen über 1000 m vermehrt vorkommt.

Ein aus dem Berg-Hartheu hergestelltes Johanniskraut-Öl besitzt eine bräunliche Farbe, da diese Art nur einen sehr geringen Gehalt an den rotfärbenden Hypericinen besitzt.

Generell ist zu selbstgesammeltem echtem Johannikraut zu sagen, dass im Unterschied zu Johanniskraut, das aus kontrolliertem, ökologischen Anbau stammt, keine Garantie für reproduzierbare Wirkstoffgehalte gegeben ist und je nach Sammel-Standort, Erntezeitpunkt und weiteren Einflussfaktoren wie z. B. „chemischen Rassen“ entweder gute oder unbefriedigende Wirkungen zu verzeichnen sind.

Zur Linderung leichter nervöser Unruhezustände, wie sie manchmal in den Wechseljahren auftreten, reicht in der Regel die 3 x tägliche Einnahme eines kräftigen Johanniskrauttees aus einer guten Teedroge, die durchaus auch aus Wildsammlung stammen kann (1 geh. Teelöffel zerkleinertes Johanniskraut auf 150 ml heißes Wasser).

Bei einer Tee-Zubereitung muss beachtet werden, dass die wichtigsten wirksamkeits-mitbestimmenden Inhaltsstoffe beim Erhitzen zerstört werden und der optimale Übergang der Wirkstoffe in die Teezubereitung bei 60° C erfolgt. Bei höheren Temperaturen, z. B. beim Kochen des Tees, kommt es zu einer unerwünschten Veränderung der Wirkstoffe zu unwirksamen Abbauprodukten.

Johanniskraut-Rotöl zur äußerlichen, oberflächlichen Behandlung von Schürfwunden, Verbrennungen ersten Grades, Sonnenbrand und Wundliegen (Dekubitus) besitzt dann eine besonders starke entzündungshemmende Wirkung, wenn das Pflanzenmaterial etwa Mitte August gesammelt wird und neben den Blüten, Knospen und Blättchen bereits rund 20 % Früchte enthält. Der Ölauszug ist in diesem Falle, zusätzlich zu den anderen Wirkstoffen, reich an Hyperforin, das eine starke entzündungshemmende Wirkung besitzt. Für die geruchliche Verbesserung gibt man zu 100 ml Rotöl 20 Tropfen echtes Lavendelöl (mit Arzneibuch-Qualität aus Lavandula angustifolia M.). Wird Rotöl zur Massage bzw. zum Einreiben bei rheumatischen Muskelbeschwerden , z. B. zur Lockerungsmassage bei Muskelkater verwendet, versetzt man 100 ml mit 50 Tropfen echtem Eukalyptusöl und 30 Tropfen echtem Rosmarinöl (Arzneibuch-Qualität).

Johanniskraut-Rotöl gibt es auch in Kapselform zur innerlichen Einnahme. Von diesen Produkten ist nur eine Wirksamkeit bei leichten Verdauungsbeschwerden zu erwarten, nicht aber bei nervöser Unruhe oder gar Depressionen.

Lebensmittel mit Johanniskraut, z.B. in Joghurt oder Johanniskraut-Likör, haben keinerlei arzneiliche Wirkung.

Bei der Einnahme höherer Dosen Johanniskraut-Extrakt kann es zu Wechselwirkungen mit chemisch-synthetischen Arzneimitteln wie z. B. Marcumar kommen (siehe Beipackzettel oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker).

Ergänzung für Fachkreise: In der Selbstmedikation völlig unbekannt sind die Wechselwirkungen mit einer ganzen Reihe von chemisch-synthetischen Arzneimitteln. Völlig unverständlich ist die momentane arzneimittelrechtliche Regelung, wonach freiverkäufliche, nicht apothekenpflichtige Johanniskrautpräparate die Interaktionsmöglichkeiten nicht nennen müssen. Folgende Interaktionen müssen bei apothekenpflichtigen Johanniskrautpräparaten in der Fachinformation (Beipackzettel) genannt werden: Ciclosporin, Antikoagulanzien vom Cumarintyp (Marcumar), Digoxin, Campothecin und andere Proteaseinhibitoren bzw. Non- Nucleosid reverse Transcriptase-Inhibitoren in der Anti-HIV-Behandlung, Nefazodon, Amitryptilin, Nortryptilin, Paroxetin, Detralin, Theophyllin, Irinotecan, Imatinib und andere zellwachstumshemmende Medikamente in der Krebsbehandlung. Absolut kontraindiziert sind Johanniskrautzubereitungen jeglicher Konzentration bei gleichzeitiger Einnahme von Ciclosporin.

Wegen der postulierten Enzyminduktion des Cytochrom-P-450-Komplexes sind höher dosierte Johanniskrautzubereitungen (etwa ab 900 mg Trockenextrakt) absolut kontraindiziert bei Herzklappenträgern, frischem Lungenödem, bei tiefer liegender Venenthrombose der Beckenetage (-region), bei Thrombophilie und Herzwand-Aneurysmen.

Da der Laie diese Interaktionsmöglichkeiten, die noch nicht vollzählig aufgelistet sind, nicht verstehen kann, soll im Grunde genommen bei jeder Einnahme von Johanniskrautpräparaten, zusammen mit chemisch-synthetischen Arzneimitteln, der Arzt oder der Apotheker gefragt werden.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heinz Schilcher

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