Süßholz – die Arzneipflanze des Jahres 2012
Mehr als ein Lakritzbonbon
Süßholzwurzel ist nicht nur lecker, sondern auch ein - nun offiziell gekürtes - Heilmittel.
Von: Eva Pantleon
Die einzigartigen Eigenschaften der Süßholzwurzel
Dass die Pflanze mehr kann als sich zur Lakritz-Schnecke aufrollen zu lassen, wissen Phytokundige schon lange. Doch nun ist es sozusagen amtlich: Süßholz (Glycyrrhiza), aus dessen Wurzel Lakritz gewonnen wird, ist die „Arzneipflanze des Jahres 2012“. Die Wahl hierzu wird seit 1999 vom „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ der Würzburger Universität durchgeführt. Neu in diesem Jahr: Die Würzburger Wissenschaftler kürten die Pflanze gemeinsam mit Experten der Umweltstiftung World Wide Fund for Nature (WWF). Diese setzt sich seit Jahren für den Artenschutz bei Pflanzen und so auch für eine nachhaltige Ernte von Heilpflanzen ein.
"Die heilenden Eigenschaften der Süßholzpflanze machen deutlich, was für eine einzigartige Apotheke die Natur darstellt", begründete Susanne Honnef vom WWF Deutschland die Wahl. Dr. Johannes Mayer vom Würzburger Studienkreis betonte, dass die Wirkung gegen zahlreiche Beschwerden wissenschaftlich belegt sei. Außerdem habe Süßholz eine jahrtausendealte Tradition als Heilpflanze: "Bereits Plinius der Ältere, der damals eine Naturenzyklopädie geschrieben hat, berichtete über die Pflanze. Auch Hildegard von Bingen natürlich, also das hat eine ganz große Tradition."
Wenn es Napoleon im Magen drückte …
Eine Tradition, deren unterschiedlichste Aspekte heute in klinischen Studien nachgewiesen werden können. So ist zwar schon lange bekannt, dass Napoleon stets kleine Mengen Lakritz mit sich führte, um seine Gastritis zu kurieren. Dass der kleine Mann mit dem großen Hut damit absolut richtig lag, wiesen Mikrobiologen des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Kiel 2003 nach: Lakritz greift den berüchtigten Keim Helicobacter pylori an und hindert ihn daran, sich an den Magenwänden festzusetzen.
Außerdem regt Lakritz, dessen Name sich aus dem griechischen Wort „glykeia rhiza“ herleitet (glykeia = süß, rhiza = Wurzel, im Lateinischen wurde daraus „glycyrriza“, im Mittellateinischen „liquiricia“), die Schleimproduktion im Magen an und wirkt entzündungshemmend. Alles in allem lassen sich der Pflanze somit reelle Chancen bei der Behandlung und Vorbeugung von Gastritis und Magengeschwüren einräumen – sofern es sich um echtes Lakritz handelt, wie es in Apotheken und Reformhäusern erhältlich ist, und nicht das mit Zucker und Trennmitteln gestreckte aus dem Supermarkt (manche Industrieware enthält auch gar kein Lakritz mehr). Bei den in Apotheken und Reformhäusern erhältlichen Produkten (darunter auch Süßholzwurzeln, Lakritzextrakt, -Tee und -Elixier) sollte allerdings beachtet werden, dass es sich oft um „Stark-Lakritz“ handelt. Dieses sollte aus medizinischen Gründen nur in sehr kleinen Mengen konsumiert werden (mehr dazu: siehe unten).
Stark bei Husten und Heiserkeit
Ebenfalls seit Jahrtausenden bekannt ist die positive Wirkung der süßen Wurzel (nomen est omen: Süßholz ist 50mal süßer als Zucker) bei Problemen mit den oberen Atemwegen. Bereits im Ayurveda, dem ältesten Medizinsystem der Welt, wurde empfohlen, bei Heiserkeit Süßholz mit heißer Milch zu trinken. Heute weiß man auch warum: Auch in den Luftwegen wirkt Süßholz entzündungshemmend und lindernd auf die Schleimhäute. Darüber hinaus hat das Lutschen medizinisch wirksamer Lakritze eine sekretolytische und auswurffördernde Wirkung – d. h. es löst zähen Schleim in Lungen und Bronchien.
Mit Süßholz gegen Viren
Neben diesen traditionellen Indikationen deuten neuere Forschungen darauf hin, dass Lakritz noch weitaus mehr kann – zum Beispiel auch gegen Viren helfen.
In Japan wird die Süßholzwurzel seit über 20 Jahren zur Behandlung der chronischen Hepatitis C eingesetzt. Erste Ergebnisse einer Studie, die Dr. Roman Huber vom Zentrum für Naturheilkunde an der Universität Freiburg gemeinsam mit japanischen Forschern durchführte, scheinen diese Indikation zu bestätigen. So weist vieles darauf hin, dass regelmäßige Injektionen mit Süßholzwurzelextrakt zusätzlich zur medikamentösen Behandlung die Leberwerte der Patienten verbessern können. Die antivirale Wirkung wird dabei auf Glycyrrhizin, den Hauptwirkstoff der Süßholzwurzel, zurückgeführt, der im Bereich Viren-Bekämpfung offenbar ein Allround-Talent ist:
Glycyrrhizin – das Multi-Talent
Bereits 1977 wurde entdeckt, dass Glycyrrhizin einen hemmenden Effekt auf Herpes-Simplex-Viren hat. Doch das ist bei weitem nicht alles: Weitere Forschungen zeigten eine Wirksamkeit des Süßholzes bei Hepatitis-, Rhabdo-, Grippe- und sogar HIV- und SARS-Viren – zumindest im Reagenzglas. Doch die Ergebnisse sind so vielversprechend, dass mittlerweile weltweit weitere Studien laufen.
So konnten Wissenschaftler der New York University nachweisen, wie trickreich der Lakritz-Wirkstoff etwa im Kampf gegen Herpes-Simplex oder sogar die gefährlichen HHV-8-Viren, Mitauslöser des Kaposi-Krebs bei Aids-Patienten, ist. Denn Glycyrrhizin vernichtet nicht nur die aktiven, sondern – und das ist das Entscheidende - auch die passiven Varianten eines Virus. Die nämlich sind das Hauptproblem, wie jeder weiß, der an simplem Lippen-Herpes leidet: Monatelang, mitunter auch jahrelang hat man seine Ruhe. Doch dann, sobald die Immunabwehr des Körpers etwas geschwächt ist, wird der Virus plötzlich wieder aktiv und die lästigen Lippen-Bläschen erscheinen.
Um eine solche Virus-Krankheit zu heilen, müsste ein Wirkstoff also auch die inaktiven Viren, die sich jahrlang im Körper verbergen können, zerstören. Und genau dazu ist Glycyrrhizin offenbar in der Lage, wie Studien aus New York zeigen. Die dafür nötige Dosis ist allerdings viel zu hoch, um durch normalen (gesundheitlich unbedenklichen) Lakritzkonsum erreicht zu werden, und wurde bisher nicht am lebenden Menschen, sondern nur an Zellkulturen nachgewiesen.
Mit Lakritz Bakterien zum Platzen bringen
Einen ganz anderen Effekt des Glycyrrhizins legt eine erst dieses Jahr erschienene Studie aus Texas nahe: Es scheint eine heilende Wirkung bei lebensbedrohlichen Infektionen zu haben, die nach Verbrennungen häufig auftreten. Zu diesem Ergebnis sind US-Forscher in einer Untersuchung mit Mäusen gekommen. Offenbar verbessert der Süßholz-Wirkstoff die Fähigkeit der geschädigten Haut, sich gegen Bakterien zu verteidigen. Glycyrrhizin könnte in Zukunft insbesondere dazu beitragen, antibiotikaresistente Krankheitserreger zu bekämpfen, schreiben die Wissenschaftler um Fujio Suzuki von der University of Texas in Galveston.
Andere Forschungen, die sich nicht nur auf Glycyrrhizin, sondern auch die im Süßholz enthaltenen Flavonoide konzentrieren, untersuchen die Wirksamkeit von Lakritz gegen Krebs, oxidativen Stress und Allergien – mit durchaus vielversprechenden Ergebnissen. Und so scheint es fast, als sei die süße Wurzel tatsächlich ein phytotherapeutischer Tausendsassa. Doch leider ist es auch hier wie bei vielen anderen potenten Wirkstoffen: Was wirkt, hat eben oft auch unerwünschte Nebenwirkungen.
Die Kehrseite der süßen Schnecke
Denn das süddeutsch schnöde Bärendreck genannte Lakritz (nach dem früheren Süßwarenfabrikanten Karl Bär, der auf viele Lakritzarten Patente hielt) sollte immer nur in Maßen verzehrt werden. So geisterte vor ein paar Jahren der Fall einer Frau durch die Presse, die monatelang täglich 400 Gramm Haribo-Lakritzschnecken vertilgt hatte. Sie erlitt Herz-Kreislauf-Probleme und schließlich einen Zusammenbruch. Beides führte sie auf ihren Lakritzkonsum zurück und fühlte sich daher berechtigt, Haribo auf Schmerzensgeld zu verklagen. Schließlich habe der Konzern nicht vor den Folgen des übermäßigen Konsums von Lakritz beziehungsweise dessen Inhaltsstoff Glycyrrhizin gewarnt.
Nun mag es zwar durchaus sein, dass jemand durch den regelmäßigen Verzehr von Lakritzprodukten erkrankt. Doch normalerweise müsste es sich dabei schon um Stark-Lakritz handeln, das pro 100 g mehr als 200 mg des Wirkstoffes Glycyrrhizin enthält (einige skandinavische und holländische Sorten enthalten bis zu 500 mg!). Solches Lakritz unterliegt in Deutschland der Kennzeichnungspflicht – d. h. auf der Packung steht dann entweder „enthält Lakritz“, „Stark-Lakritz“ oder „Erwachsenen-Lakritz“ (Letzteres enthält dann meistens auch noch einen für Kinder nicht geeigneten hohen Salmiakanteil). Haribos schwarze Schnecken weisen aber pro 100 g nur 80 bis 180 mg des Wirkstoffes auf – was beim normalen Verzehr von 2 oder 3 Schnecken keinerlei Problem darstellt und daher nicht der Kennzeichnungspflicht unterliegt. Das Gericht entschied dann auch, dass für die Gewohnheit der Frau, jeden Monat 12 Kilo Lakritzschnecken zu verspeisen, nicht der Produzent verantwortlich gemacht werden könne …
Maximal 50 Gramm pro Tag
Trotzdem aber gilt: Der Dauergebrauch von Lakritze und Süßholzpräparaten kann mit Nebenwirkungen verbunden sein: Ab einer Dosis von 100 Milligramm Glycyrrhizinsäure täglich kann es zu Verschiebungen im Mineralstoffhaushalt kommen: Der Natriumpegel im Körper steigt, der Kaliumpegel sinkt. Die Folge können Wassereinlagerungen sein sowie Muskelschwäche, Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen. Herz-Kreislauf-Kranke, Diabetiker und Schwangere sollten Süßholzprodukte daher nur in sehr kleinen Mengen zu sich nehmen oder besser ganz verzichten. Für alle anderen gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Folgendes als Richtlinie an: bei regelmäßigem Verzehr maximal 50 Gramm Lakritz pro Tag konsumieren.
Süße Schnecken – besser nur für Frauen
Auch wer eine Transplantation hinter sich hat oder aus anderen Gründen Medikamente erhält, die Ciclosporin enthalten, muss ganz auf Lakritz verzichten. Eine Studie aus Taiwan belegt, dass Süßholz im Körper die Aufnahme von Ciclosporin blockiert.
Und Männer, die sich mit Zeugungsabsichten tragen, sollten den Griff zur Lakritztüte ebenfalls scheuen und diese lieber an ihre Frau weiterreichen: Forscher von der iranischen Shahid-Beheshti-Universität haben heraus gefunden, dass bereits 400 Milligramm Glycyrrhizin ausreichen, um die Testosteronwerte von Männern drastisch in den Keller zu treiben.
Unfruchtbaren Frauen hingegen kann die tägliche Dosis Lakritz durchaus zum Kindersegen verhelfen, da es ovulatorisch – also Eisprung auslösend – wirken soll. Zumindest werden Frauen mit Kinderwunsch in Japan traditionell mit einem Gemisch aus Pfingstrose und Süßholz behandelt. In unseren Breiten sah die traditionelle Anwendung des Lakritz im Mittelalter etwas vergeistigter aus: „Es macht die Wurzel des Menschen Sinne mild und erhellt seine Augen“, schrieb Hildegard von Bingen, fügte aber auch hinzu: „und erweicht seinen Magen zur Verdauung“. Offenbar war Lakritz eben damals schon - ein Multitalent.
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Rezepte (Medizinische Tees mit Süßholz nie länger als 4 Wochen anwenden!):
Süßholztee
1/2 TL geschnittene Süßholzwurzel mit 1 Tasse kaltem Wasser zum Kochen bringen, kurz kochen lassen und abgiessen. Bei Magenbeschwerden und Bronchitis 3–5-mal tgl. 1 Tasse trinken.
Reizhustentee
Je 35 g Huflattich- und Spitzwegerichblätter mit je 10 g Isländisch Moos, Malvenblüten und Süßholzwurzel mischen. 1 TL der Mischung mit 1 Tasse kaltem Wasser ansetzen, 1,5 Std. ziehen lassen, abgiessen und schluckweise trinken. 3- mal tgl. 1 Tasse jeweils frisch zubereitet trinken. Süßholz schützt die entzündete Schleimhaut.
Tee bei Leberleiden
Je 15 g Artischockenblätter, Mariendistelsamen, Schafgarbenkraut, Fenchelfrüchte, Süßholzwurzel und Pfefferminzblätter mischen. 1 TL der Mischung mörsern und mit 1 Tasse heißem Wasser übergießen, 7 Min. zugedeckt ziehen lassen. 2–3 Tassen tgl. trinken