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Diagnose: Empathie. Aus dem Alltag einer jungen Ärztin

Buchcover Olga Kogan: Diagnose Empathie
© Mabuse-Verlag

Persönlich, mitreißend und gefühlvoll schildert Olga Kogan, was sie selbst bewegt hat, was sie erlitt, wo sie scheiterte.

Von: Berthold Musselmann

Buchrezension und persönlicher Kommentar

Die Autorin des gleichnamigen Buches aus dem Mabuse-Verlag, Olga Kogan, arbeitet heute als Ärztin in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universitätsklinik der RWTH Aachen. In ihrem kleinen Büchlein schildert sie in Form lakonisch aneinandergereihter Episoden, das, was den meisten jungen Ärztinnen und Ärzten in ihrem Werdegang so widerfährt. Die Mischung aus Erfahrung, Abgebrühtheit, Zynismus, Pseudoüberlegenheit, wirklicher Autorität, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, Höhen und Tiefen der Begleitung kranker Menschen aller Schweregrade.

Persönlich, mitreißend und gefühlvoll...

Persönlich, mitreißend und gefühlvoll schildert sie, was sie selbst bewegt hat, was sie erlitt, wo sie scheiterte, wo sie wuchs, wo sich entschied, wie es mit ihr weitergeht.
Und das leicht lesbar, fast ein wenig naiv und doch umso authentischer.

Gerade durch die „Naivität“ wird man selbst „kalt erwischt“ wie ein Anfänger, der noch nicht abgebrüht ist (gottseidank) und irgendwie will man auch genau das nicht …

Man ist mit der Autorin am Leiden und zugleich froh, dass man weiter fühlen will und darf, lebendig sein darf und nicht „dazugehören“ muss, so wie sie offensichtlich selbst.
Genau diesen Druck, „cool“ zu sein, verspürt man als Arzt dauernd auf seinem Berufsweg, besonders in der Klinik, diesen Druck, bloß nicht „gemeine Sache mit dem einfachen Patienten“ zu machen.

Ungeschriebene Gesetze sind ja bekanntlich die heftigsten und es gibt keine klarere Agenda in der Sozialisation zur ÄrztIn, als seine eigenen Gefühle abzutöten und gefälligst ein beherrschter Doc mit wissenschaftlichem Blick auf „die Sache“ zu werden.
Einer DER Grundwebfehler unseres Systems neben der Monetarisierung und Kommerzialisierung der Medizin.

In ihren kleinen Sequenzen baut sie eine Art seelischen Raum auf, in dem so etwas wie eine Wahlfreiheit entsteht, ein mögliches Gegenszenario zu dem, was meist leider stattfindet:

Hinsehen, Liebe oder Wegschauen und Verwaltung. The show must go on (Visite). Sicher, auch die Patienten wollen eine oft geschönte Wirklichkeit, aber es gibt die Möglichkeit der direkten Begegnung, wenn es gefragt ist und ein leidender Mensch es dringend braucht.

Auf Seite 40 eine schöne Schilderung, was Gefühle mit und im Körper machen, ein kleines Wörterbuch der Psychosomatik. Gute Medizin ist Psychosomatik, zumindest auch.

Sehr berührend und erschütternd ihre Schilderung eines „gestorbenen“ jungen Mannes, hirntot, ausschlachtungsreif für die moderne Transplantationsmedizin…

Wo befinde ich mich in einer „richtigen“ Distanz zum Menschen?

Ich muss es immer neu mit mir, der Umgebung und besonders mit dem einzigartigen Menschen vor mir aushandeln.

Wir ÄrztInnen stecken in einem mehrfach paradoxen Beruf: Es ist professionelle Distanz und Ruhe nötig, zugleich im Wechsel maximale Einfühlung vonnöten, um wirklich diagnostisch und therapeutisch weiterzukommen. Und: Wir sind ausgerechnet dann am besten, wenn man uns nicht mehr braucht. Diese narzisstische Kränkung halten viele von uns nicht aus. Anstatt sich daran zu freuen, wenn ein Mensch, der uns um Rat fragt, „gesund davonflattert“, binden viele von uns Patienten gerne ewig, natürlich auch aus eigenen Interessen. Welch (teils bewusstes) Missverständnis, ja welche Perversion der Arztaufgabe!
Unser Job: Bester Berater des inneren Arztes des Patienten und, sobald möglich, Befreier des Patienten zu sich selbst, unabhängig von Helfern.

Nur mit den ratsuchenden Menschen, orientiert an ihrer Wirklichkeit, ihren Lebensentwürfen, ihren seelischen Bedingungen, Gefühlen und Werten der Kultur, in der wir leben, kann dauerhafte Heilung eintreten, nicht gegen sie.

Und die Realität der aktuellen Medizin:

Wissenschaftliche Studien wurden in der Medizin im letzten Jahrhundert eingeführt, um sie aus der Unsicherheit der dort üblichen Beobachtung und Erprobung, also von der Empirie, zu befreien hin zu einer exakten objektiven Wissenschaft.

Die mächtige Medizin mit ihren lebenswichtigen und gefahrenträchtigen Aufgaben sollte demokratisiert, die Götter in Weiß gebändigt, Gefahren wie bei Contergan vorgebeugt werden.

Dabei wurde das Kind mit dem Bade ausgekippt:

Aus Halbgöttern in Weiß wurden Jünger des Götzen Statistik und Techniker. Es wurde vergessen, dass Medizin auch Erfahrungsheilkunde ist und bleibt, keine reine Wissenschaft.

Die aktuelle Medizinauffassung gerät finanziell, technisch und auch fachlich immer mehr an ihre Grenzen. Große Erfolge lassen auf sich warten, neue Wundermedikamente bleiben aus. Medizin hat sich von den Geisteswissenschaften und neuen Entwicklungen in anderen Disziplinen abgekoppelt. Eine Sackgasse.

Die akademische Naturheilkunde versucht, dem Irrweg der rein wissenschaftlichen Medizin nachzugehen, um auch den Nimbus unfehlbarer, objektiver, allgemein anerkannter Universitätsmedizin zu genießen.

Was wir brauchen, ist eine Rückbesinnung auf das, was echte Evidenz-basierte Medizin nach ihrem Erfinder Sackett eigentlich ist:

Eine Erfahrungsheilkunst, bei der die Sicht und das Empfinden von Patient, Arzt und wissenschaftliche Erkenntnisse, auf keinen Fall nur durch Randomisiert kontrollierte Studien (RCTs), nebeneinander stehen und ausbalanciert werden müssen.

Überall, wo Gefühle eine Rolle spielen, uns überraschen, stecken wichtige Aspekte unserer Selbst, unserer Existenz, unseres Gegenübers. Das sollten wir – endlich - erkennen.

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Ihr

Berthold Musselmann

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