Ist Entschlacken Unsinn oder nicht?
Vom Sinn und Unsinn von Entschlackungskuren
Kaum ein Thema ist unter Experten so umstritten wie „Frühjahrskuren“ zur Entschlackung und Reinigung. PhytoDoc stellt Ihnen die wichtigsten Argumente der Pro- und der Contra-Seite vor.
Von: Eva Pantleon
Frühjahrsritual Fasten
Tagelang nichts als Saft und Gemüsebrühe zwischen die Zähne und vorher ein Glas Glaubersalz zur Darmentleerung? Wirklich attraktiv klingt das nicht. Und so manch Abtrünnigem mag da der Gedanke kommen, ob eine schöne Wellness-Massage mit anschließendem Saunabesuch nicht auch ganz wohltuend wäre ... Dennoch: Das Frühjahrsfasten ist für viele ein festes Ritual. Zweck der Übung ist, den Körper zu entschlacken und dabei die im Winter angesammelten Schadstoffe auszuscheiden.
Das aber könnten sie sich, zumindest nach Meinung vieler Mediziner, sparen. Kaum ein Thema ist unter Experten so umstritten wie das Thema Entschlackung – vor allem wenn es um das Konzept des „Ausleitens und Entgiftens“ geht. Lesen Sie im Folgenden, was renommierte Wissenschaftler und Heilpraktiker für oder gegen das Fasten sagen – ob zur Reinigung, zum Abnehmen oder aus medizinischen Gründen.
Muss der Körper "entgiftet" werden?
Der Gedanke, den Körper von Giftstoffen befreien zu wollen, ist leicht nachvollziehbar. Heute mehr denn je. Schließlich sind die Zeitungen voll von Berichten über Schadstoffe, die täglich auf uns einwirken – ob Pestizide im Gemüse, Antibiotika im Fleisch oder Asbest in der Hauswand.
Neu ist die Idee des „Ausleitens“ von Giftstoffen, im Volksmund „entschlacken“ genannt, dabei nicht. Alle großen traditionellen Medizinsysteme – ob die TCM, die europäische Humoralmedizin oder Ayurveda – kennen das Prinzip. Dabei wurden und werden schon seit Jahrhunderten unterschiedlichste Methoden angewendet, um krankmachende Stoffe aus dem Körper zu entfernen: Schröpfen, Aderlass, Massagen, Blutegel oder Schwitzkuren - und natürlich auch Fastenkuren und Diäten.
Die Pro-Seite: Ausscheidungsorgane sind überlastet
Diese Tradition setzen heute viele Heilpraktiker und Naturheilärzte fort – unter der Annahme, dass die natürlichen Ausleitungssysteme des Körpers bei den ca. 10 Millionen registrierten Chemikalien, die es heutzutage gibt, zu überlastet seien, um alle Giftstoffe auszuscheiden. Daher würden sich Umweltgifte wie Konservierungs- und Zusatzstoffe, Pestizid- und Düngerreste als „Schlacken“ im Gewebe ablagern. Was genau dabei unter Schlacken zu verstehen ist, variiert: Die Diplom-Biologin und Fastenleiterin Aloisia Schönke etwa spricht von pathogenem Eiweiß, das sich im Bindegewebe und in den Basalmembranen der Kapillaren ablagere.
Für die Ernährungsberaterin Sabine Becker sind „Schlacken“ durch Übersäuerung entstandene, sauer reagierende Salze. Einigkeit herrscht aber darüber, wo sich diese „Schlacken“ (Mediziner würden von „Stoffwechselendprodukten“ sprechen) ablagern und dabei viel Ungutes anrichten würden: im Bindegewebe und Zwischenknorpelgewebe. Der Heilpraktiker René Gräber verweist hier auch auf den „Pischinger-Raum“ - nach dem österreichischen Arzt Dr. Alfred Pischinger, der eine Grundregulation des Körpers über das Bindegewebe postulierte.
Folgen einer solchen Verschlackung seien erhebliche Gesundheitsstörungen (u.a. Rheuma, Allergien, Schlafstörungen) – wenn der Körper nicht durch Kuren, Tee oder Kräuter bei der Entgiftung unterstützt würde.
Viele Naturheilpraxen bieten daher Ausleitungs- und Entgiftungstherapien an (z.B. Heilfasten). Diese basieren zum einen auf einer Aktivierung der natürlichen Entgiftungsfunktionen von Leber, Niere, Darm, Haut und Lymphsystem. Zum anderen auf einer gezielten Anregung des Zellstoffwechsels etwa durch orthomolekulare NEM oder therapeutische Anwendungen.
Die Contra-Seite: Schul-Mediziner kennen keine Schlacken
Was aber sagt nun die Schul-Medizin dazu? Nicht viel Positives. "Der Glaube an die Entschlackung ist ein absolutes Steinzeitkonzept", kommentiert etwa Martin Reincke, Leiter der Klinik für Innere Medizin der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Die einzige Entschlackung, die medizinisch zu empfehlen ist, müsste im Kopf stattfinden - das heißt, sich von dieser Vorstellung zu lösen."
Etwa diplomatischer äußert sich Prof. Susanne Klaus, Stoffwechselexpertin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung: "Ich denke, der Begriff ist einfach falsch gewählt. Der Begriff Schlacke suggeriert etwas, was im Körper entsteht und nicht mehr weiterverarbeitet werden kann. Etwas, was sich ansammelt und schädlich ist. Und dass man dann das Fasten braucht, um diese Schlacke wieder loszuwerden. Doch so etwas gibt es eigentlich nicht. Im Körper entstehen bei einem normalen Stoffwechsel bestimmte Stoffwechsel-Endprodukte, die wir aber ganz normal ausscheiden. Und das ist ein normaler Vorgang."
Die durchaus zu beobachtenden positiven Effekte des Fastens hält die Expertin eher für eine Kopfsache – schließlich horche jemand, der faste, eher auf seinen Körper und stelle auch seinen Alltag um: „So eine Art Entrümpelung, die ja manchmal im Leben auch ganz gut tun kann." Nötig aber sei das nicht für die Gesundheit – was auch Prof. Dr. Johannes Georg Wechsler vom Krankenhaus Barmherzige Brüder in München sofort unterschreiben würde. Die Angst vor einer schleichenden Vergiftung durch Ablagerungen sei wissenschaftlich gesehen völlig unbegründet, so der Wissenschaftler. Der menschliche Organismus habe sich über fünf Millionen Jahre hoch entwickelt. So sei ein sehr effektives System entstanden, um Stoffwechselendprodukte loszuwerden.
Dabei würden unerwünschte Substanzen vom Dünndarm in die Leber geschleust, dort unschädlich gemacht und schließlich über die Nieren und die Blase mit dem Urin ausgeschieden. Unverdauliche Ballaststoffe transportiere der Dickdarm aus dem Körper und beim Stoffwechsel anfallende Gase würden über Lunge und Haut ausgeatmet. Dieses System, sagt Wechsler, könne man nicht verbessern. Schlacken kenne er daher nur „aus dem Ofen“ – aber nicht im menschlichen Körper.
Der Kompromiss: fasten ja - aber ohne Entschlackung
Doch wem nun glauben? Vielleicht einem „Mittler zwischen den Welten“ – dem Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin, Prof. Dr. Andreas Michalsen. Seit Jahren erforscht er die verschiedenen ausleitenden Verfahren und ist „beeindruckt von der bisher gefundenen Wirksamkeit“ einiger dieser Verfahren. Die Vorstellung, dabei schlechte Säfte auszuleiten, sei allerdings nicht haltbar: "Viele Verfahren zeigen positive Effekte - ihre Wirkmechanismen haben aber kaum etwas mit dem Ausleiten von irgendwelchen üblen Säften zu tun.“
Das Problem an der Sache aber sei, dass „die Patienten die Begriffe Ausleiten und Entschlacken geradezu lieben“. Sie seien überzeugt, so der Arzt in einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung, dass „ein Blutegel den Schmerz tatsächlich heraussaugt“. Dabei sei dies doch nur als Metapher zu verstehen: „Die sogenannten Schlacken hat schließlich noch keiner gesehen.“ Michalsen kritisiert deshalb Naturheilärzte, die eine falsche Vorstellung vom Ausleiten und Entgiften verbreiten und damit Patienten davon abhalten, ihre Krankheiten richtig zu behandeln. Überzeugt hingegen ist Michalsen von der gesundheitsfördernden Wirkung des Fastens: „Es erhält die Flexibilität des Stoffwechsels“.
Vom (unbestreitbaren) Nutzen des Fastens
Wenn also nicht zur „Entschlackung“ – warum dann fasten? Zum Abnehmen? Eher keine gute Idee. Denn der Körper schaltet beim Fasten auf Sparflamme. Daher gibt es einen Jojo-Effekt, wenn wieder normale Nahrung zugeführt wird. Viele argumentieren aber, dass das Fasten quasi als Zäsur der Einstieg zu einer gesunden Ernährung sein könne: „Fasten ist wie das Drücken des Reset-Knopfs am Computer“, sagt etwa Dr. Michalsen. „Eingefahrene ungesunde Ernährungsmuster werden durchbrochen und das Bewusstsein für gesunde Ess- und Verhaltensweisen geschärft“.
Sinnvoll ist auf jeden Fall aber auch, es bei chronischen Krankheiten wie Arthrose, Rheuma oder auch Neurodermitis einmal mit Heilfasten zu probieren: Neueste Studien belegen für diese Krankheiten positive Effekte durch Fasten. Eine echte Hilfe kann eine Auszeit vom Essen auch für Migräne-Patienten sein. Das belegt eine Studie, die auf einer Fortbildungstagung der Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung in Bad Pyrmont vorgestellt wurde: Bei 243 Migränepatienten, die im Verlauf von 5 Jahren ein- oder mehrfach stationär fasteten, konnte mehrheitlich eine längerfristige Linderung der Beschwerden oder Schmerzfreiheit erzielt werden.
Das Fazit, das die Gesellschaft am Ende der Tagung zog, lautete: „Im Prinzip profitieren alle chronisch Kranken von einer Fastentherapie“. Woher genau dabei die positiven Effekte rühren, ist noch nicht erwiesen. Doch vieles spricht dafür, dass die „Stilllegung“ des Magen-Darm-Traktes eine bedeutende Rolle spielt. Der Darm ist nämlich Hauptverantwortlicher für das Immunsystem und kann sich durch diese „Urlaubsphase“ regenerieren – und damit verbessert sich auch die Immunabwehr.
Skepsis ist dagegen angebracht, wenn durch Fasten wundersame Heilungen versprochen werden, wie im Falle des österreichischen Heilpraktikers Rudolf Breuß. Dieser behauptet, dass "Krebsgeschwülste aushungern", wenn man 42 Tage lang nur Gemüsesaft und Tee trinkt. "Diese Behauptung ist durch nichts bewiesen", warnt die deutsche Krebsgesellschaft. Wer die Ratschläge des 1990 verstorbenen Heilpraktikers befolge, müsse vielmehr mit Mangelernährung "und somit einer zusätzlichen Schwächung des Immunsystems" rechnen.