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Hildegard von Bingen

© Abtei St. Hildegard Rüdesheim

Wer war Hildegard von Bingen?

Hildegard von Bingen ist die berühmteste Frau des deutschen Mittelalters. Sie war eine Adlige, Nonne, Äbtissin, Heilerin, Gelehrte, Mystikerin, Komponistin und vieles mehr: Über das Leben dieser besonderen Person und den bis heute andauernden Einfluss auf die Naturheilkunde.

Von: Stefanie Ebert

Das Leben der Heiligen Hildegard von Bingen

Herkunft

Hildegard wurde im Jahr 1098 als zehntes Kind der Edelfreien Hildebert und Mechthild von Bermersheim bei Alzey geboren. Im Mittelalter und auch darüber hinaus war es üblich, einen „Zehnten“ an die Kirche oder andere Institutionen abzugeben [FN 1] und somit war Hildegards Schicksal beschlossen.

Im Alter von etwa 8 Jahren begann die religiöse Ausbildung der jungen Hildegard, zusammen mit ihrer Verwandten Jutta von Sponheim, zu dem Zeitpunkt 16. Im Jahre 1112 wurden die beiden in das Kloster Disibodenberg bei Bad Kreuznach gebracht. Jutta und Hildegard waren Zeit ihres Lebens gute Freundinnen.

Am Disibodenberg lebten zu dieser Zeit etwa 80 Benediktinermönche, die ihren Alltag weitgehend abgetrennt von den Frauenklausen, wo die Nonnen lebten, führten. Jutta bezog eine Klause, in der sie sich, gemeinsam mit Hildegard und anderen Nonnen, um Kinder kümmerte. Die Klause wuchs zu einem Konvent heran, dem Jutta als Magistra vorstand.

Visionen und Zweifel

Jutta von Sponheim starb 1036 und Hildegard wurde zur neuen Magistra gewählt. In Abkehr von der strengen und enthaltsamen Glaubensauffassung ihrer Vorgängerin lag Hildegard eine menschenfreundliche Theologie am Herzen.

Was sie darüber hinaus von Anderen unterschied, war der Umstand, dass Gott mit ihr sprach, so wie sie es nannte. Hildegard hatte schon lange Visionen, helle Lichterscheinungen und hörte die Stimme Gottes, die sie leitete. Sie nahm zunächst an, dass alle Menschen diese Visionen erlebten, da sie schon früh in ihrem Leben einsetzten. Als sie merkte, dass dies nicht der Fall war, behielt sie diese für sich und erzählte nur ihren engsten Freunden davon, so wie Jutta, oder dem Mönch Volmar, der ihr später helfen wird, jene Visionen zu verschriftlichen. Im Jahre 1141 nahmen die Erscheinungen stark zu, in einer besonders eindrücklichen wurde Hildegard aufgefordert, das, was sie sah, und ihr offenbart wurde, niederzuschreiben.

So wandte sie sich aus Ratlosigkeit an den berühmten Bernhard von Clairveaux, dessen Antwort freundlich, aber ohne richtigen Inhalt war. Trotzdem begann Hildegard mithilfe Volmars und ihrer Freundin, der Nonne Richardis von Stade, ihre Visionen niederzuschreiben, zunächst auf Wachstafeln. Sie mussten auch übersetzt werden, Hildegard war zunächst nicht in lateinischer Grammatik bewandert, der gängigen Schriftsprache ihrer Zeit.

Ihre seherischen Fähigkeiten wurden vielfach angezweifelt, da weitgehend angenommen wurde, eine Frau sei dieser Art Zwiegespräch mit Gott nicht würdig und zu trauen sei dem weiblichen Geschlecht so oder so nicht. Auch mit dem Abt von Disibodenberg, Kuno, geriet sie aneinander, da Hildegard die strengen Klosterregeln lockerte und, entgegen der vielen christlichen Bettel- und Askesebewegungen ihrer Zeit, eine holistische, wohlwollende Gottesvorstellung predigte. Als Frau schien sie viel zu eigensinnig und intelligent. 

Sogar der Papst, Eugen III., erhielt Kunde von Hildegards ungewöhnlichen Visionen und sie bat ihn um die Erlaubnis, ihre Schriften verbreiten zu dürfen. Er engagierte eine Kommission, der Sache auf den Grund zu gehen. Letztendlich – und nach vielen Beteuerungen Hildegards, sie sei schlicht das Werkzeug Gottes und von sich aus gar nicht fähig zu solch komplizierten Ausführungen – gestattete er ihr während eines Konzils im Jahre 1147, ihre Werke publik zu machen.

Eine Frau von hohem Ansehen

Nun begann der öffentliche Teil ihres Lebens, insbesondere da sie nun, nach vier Jahrzehnten am Disibodenberg, einem eigenen Frauenkloster am Rupertsberg bei Bingen vorstand. Sie pflegte viele Korrespondenzen, unter anderem mit dem Kaiser, Friedrich Barbarossa. Des Weiteren unternahm sie Predigt- und Wallfahrtsreisen. Sie veröffentlichte insgesamt mehr als 10 Schriften und starb im September 1179 im Alter von 81 Jahren.

Zur Person Hildegards

Hildegard scheint eine sehr charismatische und kluge Person gewesen zu sein, deren Einfluss sich bis heute nachweisen lässt – sei es durch ihre Briefwechsel, in denen sie sich nicht scheute, große Männer ihrer Zeit zu beraten und zu ermahnen, ihre Beliebtheit als Lehrerin und Predigerin oder den Möglichkeiten, die ihr Ruhm auch ihrem Konvent eröffnete. Sie war zu Lebzeiten bereits weit bekannt und geliebt und hatte somit – im Gegensatz zu fast allen anderen Frauen – eine Stimme, die gehört wurde. 

Sie gab durch ihre Bildung und Intelligenz frische Impulse und hatte einen ganz eigenen Ansatz, sei es bezüglich der Wissenschaften, Exegese der Heiligen Schrift oder des benediktinischen Klosterlebens. Sie muss eine wissenshungrige und intelligente Frau gewesen sein, was zum Beispiel daran deutlich wird, dass sie ihre eigene Schriftsprache, die lingua ignota erfand – welche sie als Spielerei und sich selbst als „einfältig“ bezeichnete. Die ständige und andauernde Betonung ihrer Unwissenheit kann ihr aus heutiger Sicht durchaus als Klugheit ausgelegt werden, da übermäßige Intelligenz und Eigenwilligkeit der damaligen Frauenrolle nicht gerecht wurden und mitunter als sehr verdächtig galten.

Hildegard, selbst aus einer Familie eher niederen Adels, war sehr ständebewusst. Die Türen ihres Klosters am Rupertsberg wurden nur Töchtern aus noblen Familien geöffnet und sie sprach sich bewusst für die Trennung der Stände aus. Später erwarb sie ein weiteres Kloster bei Eibingen, in dem auch Frauen niederer Gesellschaftsschichten willkommen waren und wo heute eine ihr geweihte Kirche steht, die unter anderem die Reliquien ausstellt, die Hildegard gesammelt hatte oder die ihr geschenkt wurden.

Die Werke Hildegards

Hildegard von Bingen schrieb nicht nur ihre Visionen nieder, sondern teilte auch ihr Wissen und ihre Expertise bezüglich anderer Themen. Oftmals waren diese Bereiche auch miteinander verwoben. Ihre Schriften sind anthropologischer, heilkundlicher und ernährungsberatender Natur. Darüber hinaus verfasste sie mehr als 70 Musikstücke, die ebenfalls auch heute noch rezipiert werden, sowie die Viten (Lebenserzählungen) des Heiligen Ruperts von Bingen und des Heiligen Disibods.

Hildegards erstes Werk war das „Liber scivias“ (scivias - „Wisse die Wege“) in dem sie 26 Visionen niederschreibt und auf das noch zwei weitere Teile (Liber vitae meritorum und Liber divinorum operum) folgten. In den 1150er Jahren veröffentlichte sie auch das Liber simplicis medicinae, welches besser unter dem Namen Physica (= Naturkunde) bekannt ist. Hier führt sie in diversen Unterkapiteln ihr Wissen über die Tiere, Steine, Elemente und insbesondere der Pflanzen aus und wie sie dem Menschen nützlich sein können. Beispielsweise werden in 230 Kapiteln 213 Pflanzen beschrieben, aber auch Klassifizierungen von Einhorn und Drache sind zu finden. Darauf folgte das Werk Liber compositae medicinae oder Causa et curaese („Ursache und Behandlung“) in dem sie über Krankheiten und den damit verbundenen Pathologien und Therapien schrieb, eingebettet in einen größeren Kontext ihrer christlichen Vorstellungen von Kosmologie und Anthropologie. Die beschriebenen Rezepte wurden in Form von Dekokten, Kataplasmen, Mitteln zum Räuchern, in Pulvern, Pillen, in Spülungen und Aufstreu angewandt.

Hildegard im Kontext ihrer Zeit

Ein holistischer Ansatz

Hildegard von Bingens Menschenbild war eher ungewöhnlich für ihre Zeit. Statt sich zu maßregeln und notfalls zu bestrafen, sprechen ihre Schriften für einen gemäßigtem Umgang mit dem, was ihr Gott den Menschen schenkte - wie etwa den eigenen Körper. Statt Krankheiten also „nur“ als Strafe eines zornigen Gottes als Folge von Sünde wahrzunehmen, war Hildegard, geprägt von den Wissenschaften ihrer Zeit und einer Milde den Menschen gegenüber, überzeugt, dass es Heilung und Versöhnung gibt. Aus heutiger Sicht betrachtet, neigt man eventuell dazu, hier eine Trennung zwischen Glauben und Wissenschaft zu setzen. Für Hildegard war ihr Gott jedoch allgegenwärtig und konnte sich also auch durch eine Krankheit oder eine erfolgreiche Heilung den Menschen offenbaren. Dies war auch mithilfe der von ihm gegebenen Flora und Fauna zu erreichen. Es war aber ebenso wichtig, sich Gott zuzuwenden, was Seelenheil bedeutete und ebenso zentral war wie die Heilung des Leibes.

Mittelalterliche Heilkunde

Die Krankenpflege ist ein wichtiger Bestandteil des benediktinischen Klosterlebens und ist in der Regulae benedictii (den benediktinischen Klosterregeln) festgehalten. Viele verwendete Begriffe in Hildegards Werken sind auch in der Alltagssprache festgehalten, was darauf hindeutet, dass diese Krankheiten und entsprechende Heilmöglichkeiten fest in der Sprache verankert und somit von hoher Aktualität waren. Sie stand in einer mittelalterlichen Tradition der Heilkunde, geprägt von antiken und spätantiken, aber auch volkskundlichen Ideen und Werken, die sie durch ihr benediktinisches Klosterleben nicht nur (kennen)lernte, sondern auch anwandte. Andere Quellen liegen vermutlich in der Handbuchliteratur seit Isidor von Sevilla, sowie die der Schule von Salerno.

Ihre Vorstellung der Medizin geht auf die Humoralpathologie und Temperamentenlehre [FN 2] der Antike zurück. Das Konzept ist auch als Vier-Säfte-Lehre bekannt, welche im Gleichgewicht sein müssen, damit der Mensch gesund ist. Dies wird in fast jeder ihrer Beschreibungen rezipiert, so zum Beispiel:

„Es gibt einige Kräuter, welche mit bestimmten Speisen gekocht werden, diese fördern die Verdauung der Menschen (velocem faciunt ad pastum), sie sind leicht, weil sie den Menschen nicht viel beschweren, und sind ähnlich dem Fleische des Menschen. Der Saft der Obstbäume ist ungekocht schädlich, gekocht nützlich, er ist dem Blute des Menschen zu vergleichen“

Die Signaturenlehre, also die Vorstellung, dass Pflanzen mit bestimmten äußeren Zeichen und Merkmalen zeigen (Similia similibus curantur – Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt), gegen welche Symptome oder in welchem Bereich sie eingesetzt werden sollen, war zu dieser Zeit auch fester Bestandteil der Naturwahrnehmung und -nutzung. Zum Beispiel das Leberblümchen, dessen Blätter an die Form der menschlichen Leber erinnern und dementsprechend gegen Leberleiden eingesetzt wurde.

Klostermedizin

Gartenbau und Kräuterkunde sind mit dem klösterlichen Leben scheinbar schon immer verbunden. Der Begründer des christlich-klösterlichen Lebens, Pachomius († 346), beschäftigte sich bereits mit Gartenbau und Heilpflanzen. Auf deutschem Gebiet sind insbesondere das „Lorscher Arzneibuch“ von etwa 785 aus dem Lorscher Benediktinerkloster, die „Capitulare de Villis“, ein Erlass von Karl dem Großen, datiert um 795, der unter anderem eine Auflistung von 73 (Heil-)Kräutern und 16 Arten von (Obst)Bäumen enthält, sowie das Liber de cultura hortum vom Abt Walahfrid Strabo, etwa 840 verfasst [FN 3], berühmt.

Die von St. Hildegard beschriebenen Rezepturen und Anwendungen wurden genauso auch benutzt. Sie lassen einen Einblick auf die (Kloster)Medizin dieser Zeit – auch immer noch und heute wieder, zum Beispiel in den sogenannten karolingischen Gärten oder traditionellen Klostergärten – zu. Exotischere Zutaten weisen auf die spätantiken Quellen des Mittelmeerraumes und den mittelalterlichen Handel hin, an dem die Klöster, häufig die größten wirtschaftlichen Betriebe, emsig beteiligt waren und so Zugang zu diversen, nicht-heimischen Drogen boten.

Zudem empfahl sie den Kranken Amulette anzulegen, mit Pflanzen, Steinen oder sonstigen Gegenständen, denen eine Heilkraft zugesprochen wurde – ein Hinweis auf „abergläubische“, volksheilkundliche Vorstellungen dieser Zeit. Zum Beispiel zeigt der „Pflanzenaberglaube" sich in dieser Aussage:

Der Teufel flieht den Farn, dort wo die Pflanze wächst, übt der Teufel sein Spiel selten aus; wer den Farn bei sich trägt, ist sicher vor den Nachstellungen des Teufels und vor bösen Anschlägen auf Leib und Leben. Auch dient der Farn gegen Blitz und Hagel sowie gegen Vergiftung. Gegen Liebeszauber und schwere Träume hilft die Betonika.“ [3]

O edles Grün

Hildegard von Bingen empfängt eine göttliche Vision.
© Joachim Schäfer - Ökumenisches Heiligenlexikon

„O edelstes Grün,

das wurzelt in der Sonne

und leuchtet in klarer Heiterkeit, im Rund eines kreisenden Rades,

das die Herrlichkeit des irdischen nicht faßt:

umarmt von der Herzkraft himmlischer Geheimnisse

rötest du wie das Morgenlicht

und flammst wie der Sonne Glut.

Du Grün

Bist umschlossen von Liebe" [FN 4]

Hildegards Heilpflanzen

Wie bereits erwähnt, beschreibt und kategorisiert Hildegard in ihrem Werk 213 Pflanzen. Zunächst einmal gibt sie an, welchem Temperament nach der Humoralpathologie (feucht, trocken, warm, kalt) jede zugeordnet werden kann und leitet daraus ab, welchem Menschentypus oder welcher Art von Beschwerden sie Abhilfe verschaffen kann. Eine Besonderheit ist beispielsweise die Ringelblume, die erstmals bei Hildegard schriftlich erwähnt wird.

In gewisser Hinsicht kann man die Pflanzenbeschreibungen in zwei Kategorien unterteilen: die heimischen und die exotischen Pflanzen. Durch die Kreuzüge (ab den 1090ern) florierte der Levantehandel und auch ältere Handeslrouten brachten fremde Gewürze und Kräuter auf die mittelalterlichen Märkte des heutigen Deutschlands. Hier muss aber bedacht werden, dass Hildegards Expertise über diese Exemplare nicht aus der germanischen Volksheilkunde stammen können und sie ihr spezifisches Wissen - trotz annehmbarer Anwendung der teuren Güter, die eher dem wohlhabenden Volk zugänglich waren - aus anderen Werken zusammentrug.

Der Galgant bei Hildegard

Um beispielhaft zu illustrieren, wie die Äbtissin die Heilpflanzen, ihre Kräfte und Verwendungen darstellte, stellen wir den Galgant kurz in ihren Worten vor:

“Wer im Herzen Schmerzen leidet und wem von Seiten des Herzens ein Schwächeanfall droht, der esse sogleich eine hinreichende Menge Galgant und es wird ihm besser gehen. Und ein Mensch, der ein hitziges Fieber in sich hat, trinkt Galgantpulver in Quellwasser und er wird das hitzige Fieber löschen.“ [6]

Der Galgant ist bei Hildegard übereinstimmend mit der Tradition ‚fast ganz heiß‘ (totum fere calidum), hat aber dennoch eine ‚mäßige Kälte in sich‘ (tamenmodicamfrigiditatem in se habet).Das Fieber wird von der Wärme des Galgants bekämpft, wenn sie sich mit der Kälte und Süße des Quellwassers (frigus et suavitas aque fontis) vermischt. Seitenschmerzenkommen von kalten Säften und werden von der Hitze des Galgants vertrieben (percalorem galange fugatur). [7, S.42].

Auf diese Art wird die Verwendung der spezifischen Pflanzen hergeleitet. Eine moderne Adaption ihres Werkes ergibt viel Sinn, denn trotz der heute nicht mehr angewandten Humoralpathologie sind die Wirkungen der Heilpflanzen nachweisbar.

Weitere Pflanzen, die in der Hildegard-Medizin beliebt sind, wären Bertram, Alraune, Ysop, Diptam, Quendel, Weinraute, Brennnessel oder auch Rezepte, die jene Gewürze und Pflanzen enthalten, wie die berühmten Nervenkekse, Brennnesselsuppe oder eine Kräuterlimonade.

Hildegard Heute

Ist Hildegard von Bingen noch aktuell?

Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass jene Werke, die hier am meisten von Interesse sind – die Physica und Causa et Curae – auch die sind, deren Authentizität am wenigsten gesichert ist. Die noch erhaltenen Handschriften entstanden erst 150 bis 300 Jahre nach ihrem Tod. 

Viele Abschriften gehen auf die umfangreiche „Florentiner Handschrift“ (14. Jh.) der Physica oder dem „Rupertsberger Riesenkodex“ (der all ihre Werke bis auf die medizinischen und naturwissenschaftlichen enthielt) zurück, doch deren Inhalte weichen voneinander ab – ein Nebeneffekt der jahrhundertelangen Anfertigung von Abschriften, bei denen nach Bedarf Texte hinzugefügt oder ausgelassen werden. Das bedeutet wiederum auch, dass ihre Schriften immer wieder unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet und herangezogen wurden und so innerhalb der letzten 1000 Jahre zu einem festen Bestandteil der deutschen Heilkunde wurden.

Eine interessante Frage ist, wie und ob sich Hildegards Visionen wissenschaftlich begründen lassen können. Vermutet wird, dass sie unter starker Migräne litt, andere meinen, sie sei Zeugin von meteorologischen Erscheinungen gewesen. Ebenfalls möglich wäre der Einfluss einer Mutterkornvergiftung.

Es existiert seit 1904 wieder eine Abtei "St. Hildegard" in Eibingen bei Rüdesheim, wo sich auch Hildegards Gebeine befinden. Vor genau 10 Jahren, im Jahre 2012, wurde St. Hildegard nach langem Bemühen ihrer Anhängerschaft heiliggesprochen und zur Kirchenlehrerin erhoben. In Form der sogenannten „Hildegard-Medizin“ ist sie in den letzten Jahrzehnten auch außerhalb der Kirche wieder zu Ruhm gekommen und symbolisiert eine naturnahe, ganzheitliche Heilkunde und Lebensweise.

Hildegard-Medizin

Der österreichische Arzt Gottfried Hertzka begründete in den 1970er Jahren die „Hildegard-Medizin“. Er berief sich auf ihre naturheilkundlichen Schriften und rezipiert diese unkritisch, hegte also keinen Zweifel daran, dass Causa et curae und Physica unverfälscht aus ihrer Feder stammen und ihr von Gott eingegeben wurden. Hertzkas Hildegard-Medizin wird vor allem in deutschsprachigen Ländern praktiziert und erfährt seit ihrer Entstehung immer wieder neue Aufmerksamkeit als Alternative zur Schulmedizin. Sie steht aber ebenso in der Kritik, da sie einer wissenschaftlichen Grundlage entbehre und nicht nur auf die Schriften Hildegards zurückzuführen sein kann, sondern auf die von ihr herangezogenen Quellen. Vielleicht handelt es sich auch eher um eine Kommerzialisierung, um Verkaufserfolge zu erzielen – „Hertzka-Medizin“ wäre also eventuell ein passenderer Name [FN 5].

Dr. Hertzka und der deutsche Heilpraktiker Dr. Wighard Strehlow formulierten 6 Lebensregeln nach den Werken und Heilprinzipien der Heiligen Hildegard, die einen Kernpunkt der modernen Hildegardmedizin darstellen:

  1. Einklang mit Natur und Umwelt finden: Lebensenergie schöpfen aus den vier Weltelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde.
  2. Subtilität der Lebensmittel achten: Beim Essen und Trinken auf die Subtilität (die natürlichen Heilkräfte) der Lebensmittel achten.
  3. Ruhe und Bewegung: Bewegung und Ruhe ins Gleichgewicht bringen. Für Spannung und Entspannung sorgen.
  4. Schlafen und Wachsein: Schlafen und Wachen regulieren.
  5. Entschlacken und entgiften: Ausleitung von Verunreinigungen und Schadstoffen.
  6. Seelische Abwehrkräfte stabilisieren: Introspektion und seelische Balance.

Insbesondere in den letzten Jahrzehnten, in denen in der Naturheilkunde der Rückbezug, beziehungsweise die Neuerfindung von traditioneller Volksmedizin großen Aufschwung erfährt, wird sich häufig auf Hildegard von Bingen bezogen. Ein Teil davon mag auch dem damit einhergehenden Zelebrieren der Weiblichkeit und dem Rückgriff auf ikonische Frauenfiguren in der Geschichte, wie sie es ist und Frauenheilkunde, wie sie sie beschrieb, geschuldet sein. Übrigens stammt die erste, erhaltene Beschreibung eines weiblichen Orgasmus aus Hildegards Feder.

Wo kann ich Hildegard von Bingen-Produkte kaufen?

Neben den Texten und Rezepten gibt es auch diverse Artikel, die unter dem Hildegard-Siegel verkauft werden, beispielsweise Elixiere wie Bitterkraft-Tropfen, Grünkraft-Tropfen, Hirschzungenelixier, Petersilienwein (auch Herzwein genannt) oder Maikur-Trunk Wermutelixier, Salben und Cremes (z. B. die berühmte Veilchencreme), aber auch normale Lebensmittel wie Instant-Kräuterbrühe oder Dinkelnudeln. Erhältlich sind diese Waren in Onlineshops (z. B. hildegards-laden.com) oder Reformhäusern. Im Grunde handelt es sich um den Verkauf von einigen ihrer beschriebenen Rezepturen und Bio-Produkten aber auch anderen Objekten wie Heilsteine und Amulette, die unter dem Namen Hildegard-Medizin vermarktet werden oder von ihr beschriebene Heilkräuter enthalten. Die St. Hildegard Abtei in Rüdesheim verfügt über einen Klosterladen.

Hildegard in den Medien

Darüber hinaus existiert eine große Auswahl an Literatur, von religiösem, naturheilkundlichem oder belletristischem Inhalt, die sich mit dem Werk und Leben HIldegards beschäftigt und auf andere Bereiche, wie die Psychotherapie oder Kulinarik ausweitet. Auch ist sie Gegenstand diverser Dokumentationen und Spielfilmproduktionen (z. B. "Die Deutschen: Hildegard von Bingen" der Terra-X-Reihe, "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen", 2009).

Wo finde ich Hildegärten?

Klostergärten sind immer einen Besuch wert und weisen auf das Leben und die Alltagskultur der langen europäischen Klostertradition hin. Es existieren auch einige, die nach dem Vorbild der Physica erbaut wurden und Pflanzen beinhalten, die in Hildegards Werken vertreten sind. So zum Beispiel der „Hildegarten“ in Bingen am Rhein oder in Leipzig.

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