So wirkt Rolfing
Lotrecht nach Rolf
Die Therapie von Ida Rolf behandelt keine Symptome, sondern sorgt für eine gesunde Haltung. Die Symptome verschwinden dann von selbst, praktisch nebenbei. Rolfing weckt im Klienten das Bewusstsein für die aktuelle Haltung. Sie bietet Anleitung, um die im Körper angelegte Koordination und Effizienz zu entdecken. Dabei gelten die Prinzipien:
Minimaler Stress durch die Schwerkraft
Wie ist das zu erreichen? Ganz einfach: Wer krumm steht, braucht mehr Muskelkraft, als jemand der den Kopf elegant bilanziert und Brust, Becken, Knie und Füße exakt übereinander ausrichtet. Balance bedeutet auch, dass man die Körpersymmetrie achtet. Mit einer exakt symmetrischen Haltung bilanzieren sich die Seiten. Also: Becken und Schultern ausrichten - Kippen und Verdrehen stört. Der Name Strukturelle Integration meint, dass zur optimalen Haltung die Schwerkraft der Erde in Rücksicht auf die Körperstruktur miteinbezogen werden muss.
Eleganz der Bewegung (Kohärenz und Leichtigkeit)
Mit dieser Regel ist gemeint, dass alle Muskeln zur Bewegung beitragen. Wenn nur einer die Hauptlast trägt, ist das Problem der Überlastung vorprogrammiert. Die Aufgabe des Therapeuten ist es, beobachtend die Schwachstellen aufzudecken und individuelle Lösungen anzubieten. Die optimale Koordination der Muskeln bringt wieder Harmonie in Alltagsbewegungen. Die biomechanische Energie von Ober- und Unterkörper muss ineinandergreifen, keine Bewegung kann an sich isoliert betrachtet werden. An jeder Bewegung ist der ganze Körper involviert (Kohärenz).
Am Ende der Rolfingsitzungen steht die:
Maximale Effizienz der Bewegung
Äußere Einflüsse wie Stress bringen uns aus dem Lot. Es folgen innere und körperliche Spannungen, die sich schließlich als Beschwerden am Bewegungsapparat niederschlagen. Die Korrektur durch Rolfing kann diese Spannungen beseitigen, das ist die zentrale Botschaft des Rolfing-Ansatzes. Das Verfahren hilft das Spannungsfeld Belastung, Schwerkraft und Emotion zu entdecken. Nach Ida Rolf führt die richtige Körperhaltung am Ende auch zu einer psychischen Leichtigkeit und Selbstsicherheit. Rolfing fördert die persönliche „Reifung“.
Die wichtigsten propagierten Effekte sind:
- Schmerzlinderung
- Verbesserung von Haltung und Bewegung
- Psychische Stabilität
- Verbesserte Körperwahrnehmung
Rolfing und das Bindegewebe: mehr als Massage
Eine optimale Körperhaltung wird durch oft langjährige Entartungen im Bindegewebe verhindert. Der Patient kann nicht gerade stehen. Er hat weder das Bewusstsein für die richtige Haltung, noch die Fähigkeit. Einen wesentlichen Anteil an Rolfing kommt daher der Bindegewebsarbeit zu. Die Massage ist erst beendet, wenn die behandelte Region weich und geschmeidig ist. Die erreichten Effekte blieben dann nicht auf die Region beschränkt, sondern würden sich im gesamten Körper ausbreiten. Die auf den Körper einwirkenden Kräfte und die Körperantworten bilden wieder eine Einheit. Dies sei durch die besonderen biomechanischen Eigenschaften des Bindegewebes möglich, so die Hypothese von Ida Rolf.
Wie steht die Forschung zum Bindegewebe?
Lange hat man dem Bindegewebe keine eigene Funktion zugebilligt. Doch dieses Bild löst sich langsam auf, denn es gibt immer mehr interessante Befunde zum Thema. Der Direktor der Forschungsabteilung der „European Rolfing Association“ Dr. Robert Schleip hat in Zusammenarbeit mit der Universität Ulm und Bradford (England) festgestellt, dass die Spannung im Bindegewebsnetz fein reguliert wird.
Was ist Bindegewebe?
Neben dem Bewegungsapparat aus Knochen und Muskeln und den spezialisierten Organen gibt es im Körper das „unspezifische Bindegewebe“. Lange dachte man, es hat nur Halte-Funktionen: Bindegewebe verbindet alle Strukturen miteinander, aber trennt auch Funktionsbereiche ab. Alle Organe sind von Bindegewebshüllen umgeben und im Körper „aufgehängt“. Wenn man ein Stück Fleisch kauft, kann man das Bindegewebe an der weißen Farbe erkennen. Es umgibt als Muskelhülle (Faszie) die Funktionseinheiten wie ein dünnes festes Häutchen. Damit stellt es bei Bewegung sicher, dass die Einheiten aneinander reibungsarm vorbeigleiten. Oft werden dem Bindegewebe auch Bänder und Sehnen zugeschlagen. Damit durchzieht das Bindegewebe den gesamten Körper als dreidimensionales Netz. Ohne Bindegewebe würde der Körper auseinander fallen. Die starren Knochen sind nicht wie lose Bausteine aufeinander geschichtet. Erst durch das Bindegewebe, können wir Zug und Druck aushalten und uns fortbewegen. Dabei kann Energie wie in einem Gummiband gespeichert und später abgerufen werden (wie etwa beim Laufen). Elastische Sehnen verstärken die Sprungkraft.
Soweit die akzeptierten Funktionen des Bindegewebes. Ansonsten glaubte man, dass es physiologisch ein passives Gewebe sei. Diese Sichtweist wandelt sich gerade drastischund neue Erkenntnisse kommen allen Bindegewebstechniken wie Rolfing sehr entgegen.
Bindegewebe ist nicht tot
Ida Rolf hatte es vermutet, heute weiß man es: Bindegewebe ist nicht nur intensiv mit Nerven versorgt, es kann auch auf Hormone reagieren. Bindegewebe steht mit dem vegetativen Nervensystem in enger Verbindung. Stresshormone und Depressionen führen etwa zu einer Kontraktion der Faszien. Ein Muskel, der in einer enger werdenden Bindegewebshülle gefangen ist, wird schlechter durchblutet und schmerzt. Rolfing massiert das Bindegewebe bis zur Geschmeidigkeit. Das verbessert die Gewebeversorgung und Krampfschmerzen. Auch der Flüssigkeitsaustausch und die Abfuhr von entzündlichen Botenstoffen können sich normalisieren.
Bindegewebe kann Nerven einklemmen oder selbst schmerzen. Doch die Nervenendigungen im Bindegewebe haben eine wichtige Funktion: Sie helfen dabei, die Lage und Spannung der Körperteile wahrzunehmen (Propriozeption). Die Bindegewebsarbeit nach Ida Rolf stimuliert diese Nerven und verbessert die aktuelle Körperwahrnehmung.
Und das Bindegewebe ist nicht unbeteiligt, sondern ändert sich mit der Lebensweise. Bei Störungen (wie Verletzungen und Überlastungen) kann es verkleben, verdicken und verhärten. Dann wird die Beweglichkeit reduziert und es löst Beschwerden aus, wie Gelenk-/ Rückenschmerzen oder Verspannungen. Bei vielen „unspezifischen“ Beschwerden am Bewegungsapparat kommt als Mitursache auch das Bindegewebe in Frage. Rolfing möchte diese Verklebungen lösen und die Spannung im Bindegewebe harmonisieren. Es soll aus steifem und schmerzhaftem ein festes und geschmeidiges Bindegewebe werden.
Narben und Verwachsungen
Bindegewebe ist im Normalfall geordnet. Vor allem in Sehnen und Bändern folgt es einer strengen parallelen oder auch geflochtenen Anordnung. Untersucht man Narbengewebe unter dem Mikroskop, ist es oft ungeordnet und verfilzt. Eine Massage dagegen wirkt sich ordnend aus. Eine Rolfingmassage wirkt wie Stretching auf den Wassergehalt des Bindegewebes und kann die Gewebesteifheit verbessern. Die Klienten beschreiben das mit einer besseren Funktion oder Festigkeit.
Daneben löse eine Rolfing-Massage bei leichten Schmerzen die Bindegewebs-Verklebungen. Ohne mechanischen Stress und schmerzhafte Irritationen wird die Beweglichkeit befreit. Die Rolfing-Therapie gewinnt die Flexibilität und Gleitfähigkeit zurück, so dass sich dann der Therapeut um eine neue Körperausrichtung kümmern kann. Mit einer Massage ist auch immer die menschliche Berührung und Zuwendung verbunden, die ebenfalls auf das Bindegewebe lockernd einwirkt.
Skelett und Organe
Auch die inneren Organe sind mit dem Bindegewebe und Skelett verbunden. Zusammengesunken werden sie eingeklemmt, bei aufrechter Haltung werden sie „entfaltet“. Blutversorgung und Atmung sind nur im aufrechten Zustand optimal. So könnte Rolfing auch auf die organische Gesundheit positiv einwirken.
Glücklich mit Rolfing
Die von Ida Rolf propagierten psychischen Effekte werden zwar von den Kunden immer wieder bestätigt, nicht jedoch durch objektive Untersuchungen. Lediglich psychologische Untersuchungen lassen ahnen, dass es einen wechselseitigen Zusammenhang zwischen Mimik bzw. Körperhaltung und den Emotionen gibt. Ida Rolf glaubte, dass im verhärteten Bindegewebe negative Emotionen gespeichert werden. Sicher dürfte auch die aufgelöste Beschwerdesymptomatik auch den Beschwerdedruck von der Psyche nehmen. Das sind die häufig genannten Effekte:
- verbessertes Selbstvertrauen
- mehr aktives, weniger passives Verhalten
- verstärkte Neugier, experimentelles Verhalten
- Stabilität und Stressresistenz
- weniger ängstliche und depressive Stimmungslagen
Dennoch sollte man im Auge behalten, dass viele der beschriebenen Wirkungen von Rolfling noch Hypothesen sind. Beweise darf man mit Spannung erwarten.
Ablauf der Behandlung
Ida Rolf vermittelte den Klienten ihr Behandlungsprinzip in einer Abfolge von zehn Sitzungen (jeweils ca. eine Stunde). Sie sind genau aufeinander abgestimmt. Am Beginn steht die genaue Beobachtung der Bewegungsmuster im Stehen und Sitzen. Auch die problematischen Arbeitshaltungen werden beim Rolfing nachgestellt, so werden Musiker zum Beispiel aufgefordert, ihr Instrument mitzubringen. Danach wird auf einer Massageliege das Bindegewebe bearbeitet. Begleitend erarbeitet der Rolfing-Therapeut systematisch mit dem Klienten die richtige Körperhaltung und Bewegung.
Die Körperarbeit nach Rolfing
Zur Behandlung liegt der/die Klient/in entspannt auf einer Behandlungsliege, während der Rolfingtherapeut mit den Händen, Handballen oder Ellenbogen zielgenauen, wohl dosierten Druck auf das Gewebe ausgeübt. Verklebungen des Bindegewebes lassen sich ertasten und bearbeiten. Die Massagearbeit ist vergleichsweise intensiv und mitunter schmerzhaft. Massiert wird, bis das Bindegewebe eine bestimmte Konsistenz erreicht. Zwischendurch wird der Klient während der Druckanwendungen aufgefordert, bestimmte Bewegungen auszuführen. Bewegungsfolgen wie Aufstehen und Hinsetzen werden solange geübt, bis der Betroffene verstanden hat, wo der entscheidende Punkt liegt.
Damit sich das Wissen festsetzt, darf der Klient aber nicht überfordert werden. Die Rolfing-Sitzungen sollten daher in gewissem zeitlichem Abstand stattfinden (zum Beispiel 2 Wochen). Empfohlen wird eine Serie von zehn Sitzungen, die aber nicht einem starren Schema folgen sondern individuell auf die Schwächen eingehen. Manche Rolfer/innen dokumentieren die Ergebnisse der einzelnen Sitzungen mit Fotos. Wenn sich alte Gewohnheiten wieder einschleichen helfen „zur Auffrischung“ wenige Stunden, um den Status zu sichern.
Kosten/Erstattung
Da Rolfing keine wissenschaftliche Anerkennung hat, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für eine Behandlung nicht. Bei den privaten Kassen kann es Ausnahmen von dieser Regel geben. Daneben ist es manchmal möglich, dass Rolfing als Präventivmaßnahme bezuschusst wird. (Einige Kassen haben im Bereich Prävention ein Bonussystem eingeführt.) Pro Rolfing-Sitzung ist mit 90 bis 110 Euro zu rechen. In der Regel ist eine Behandlungsserie von 8-12 Sitzungen zu veranschlagen.
Ergänzende Maßnahmen
Bei seelischen Beschwerden könnten andere köperorientierte Entspannungsverfahren wie Autogenes Training und Progressive Muskelentspannung den Beitrag von Rolfing verbessern. Rolfer sind zwar auf seelische Reaktionen vorbereitet, bei schweren Problemen ist eine professionelle psychotherapeutische Begleitung sinnvoller.
Übrigens: Die Faszienforscher interessieren sich nicht nur für Rolfing, sondern auch andere traditionelle Verfahren wie Akupunktur, Osteopathie und Yoga. Auch diese Verfahren zielen im Grunde auf das Bindegewebe ab. Gefragt sind Zug, Druck und Schwerkräfte. Bei der Akupunktur entstehen diese Kräfte dadurch, dass die Nadel vom Therapeuten gedreht wird. Dabei wickelt sich das Bindegewebe um die Nadel wie Spaghetti um eine Gabel. Bei Yoga liefern die intensiven Dehnungen diese Bindegewebsverformungen. Auch das Prinzip der Fußreflexzonenmassage ist im Rolfing nicht unbekannt.