Wege der Heilung: Arzt-Patient-Beziehung
Vertrauen Sie Ihrem Arzt?
Die Beziehung zwischen Ärzten und ihren Patienten ist entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung.
Von: Berthold Musselmann
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient
Das Geheimnis der Schlüsseleigenschaften der Ärzte, die den Heilungsprozess wesentlich mitbestimmen, lüfteten wir im letzten Beitrag: Freundlichkeit, Empathie und Wertschätzung sind eine Grundvoraussetzung für die Schaffung einer vertrauensvollen Arzt-Patient-Beziehung und damit indirekt auch entscheidend für einen positiven Heilungsprozess. Die persönliche Überzeugtheit des Arztes, die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft, seine Authentizität zählen ganz besonders für den Glauben der Patienten an ihre Gesundung und damit für die Wirksamkeit der ärztlichen Bemühungen.
Doch was ist es nun, was in dieser geheimnisvollen, komplizierten, störanfälligen, höchst persönlichen Beziehung zwischen Ärzten bzw. Therapeuten und Patienten bzw. Klienten entsteht und abläuft?
Vertrauensbeziehung als Basisvoraussetzung
Die Eigenschaften von Arzt und Patient, die Voraussetzung für eine positive Arzt-Patient-Beziehung und damit für einen Erfolg der Komplementärmedizin (KM) wurden bereits behandelt. Insgesamt lassen die Beiträge der Ärzte erkennen, dass aus ihrer Sicht der Aufbau einer Vertrauensbeziehung als Basisvoraussetzung für den Erfolg des diagnostisch-therapeutischen Prozesses gilt. Diese Beziehung sei Grundvoraussetzung für einen positiven Heilungsprozess, bei dem im besten Fall eine Passung entstehe, also ein Zusammenpassen von Arzt und Patient auf den verschiedensten Feldern. Dabei gebe es Felder, die essenziell, also für nahezu jede Arzt-Patient-Beziehung von Bedeutung seien und Punkte, die jeweils im Einzelfall eine hohe Bedeutung erlangen könnten. Timing, also die richtige Maßnahme, das richtige Thema etc. zur rechten Zeit sei dabei von Bedeutung:
„Also, ich denke auch, die Beziehung ist das Wichtigste. Dass der Patient sich öffnet. Er kommt mit einem Lokal-Symptom - was auch immer - und dann komme ich in die Erstanamnese rein und frage ganz viel ab und da entsteht eine Öffnung und der Patient findet Vertrauen und kann immer mehr von sich erzählen, was ich festhalte und was ich repertorisiere und was ich ihm auch widerspiegele, indem ich das wiederhole und ihm spiegele. Das ist fast wie Psychotherapie, aber eben dann doch auch sowohl im geistigen Bereich, im seelischen Bereich als auch im körperlichen Bereich, indem ich homöopathisch repertorisiere und da dann auf die passenden Mittel stoße…“ (5:2366)
Nach Meinung der Ärzte erlangt der Komplementärmedizin-Therapeut dieses Grundvertrauen durch genaueres Hinsehen, Aufbau einer gemeinsamen Wirklichkeit, gemeinsame Rituale mit für die Beteiligten bedeutsamen und emotional erfüllten Zeichen und durch eine genauere Anamnese. Dabei müsse die angewendete Methode nicht wissenschaftlich belegt sein. Es werde teilweise auf den Glauben der Patienten gesetzt und dem Wunsch entsprochen, einfache Erklärungen für die Körpersymptome zu bekommen. Dies wird von einigen Teilnehmern der Fokusgruppen problematisch gesehen:
„Man muss zugeben, dass Quacksalberei auch gut funktioniert. Das [die Wissenschaftlichkeit] allein ist also noch kein Kriterium, z. B. Bioresonanz, da gibt es krachende Praxen und die Leute zahlen sich dumm und dämlich, glauben dran, an das Ritual, berichten auch über Erfolge. Das ist sehr schwierig, das ist Treibsand.“ (4:236)
Die Mehrheit der diskutierenden Ärzte betont, dass die meisten Patienten, die KM in Anspruch nehmen, einen starke Anspruch darauf hätten, dass ihre individuelle Sicht von sich selbst, ihrer Krankheit und Gesundheit, ihre Werte etc. geachtet und berücksichtigt werde. Demzufolge erwarteten sie, von KM-Therapeuten in ihrer Autonomie unangetastet zu bleiben. Dafür seien sie auch bereit zu bezahlen, im Sinne eines Machterhaltes/-zuwachses gegen Geld. Dies habe zur Folge, dass die Mitarbeit im Heilungsprozess besser funktioniere:
„Also, ich denke schon, Autonomie und Eigenverantwortung sind sehr viel stärker ausgeprägt bei Patienten, die Naturheilverfahren kriegen, weil sie mit machen müssen. (…) Wenn sie viel selber zahlen müssen und wenn sie dann verstehen, was sie tun und weil ich ihnen auch zutraue, dass sie mitmachen. Dann kann man da sehr drauf hinwirken.“ (5:321-329).
Einige Ärzte sehen Gefahren in dieser Entwicklung insofern, dass durch die Anwendung von KM bei Patienten falsche Überzeugungen über den eigenen Körper und die Vorgänge darin perseveriert würden, abwegige Vorstellungen genährt und womöglich notwendige Maßnahmen und Änderungen im Leben, die den Patienten zu schmerzhaft oder anstrengend seien, die sie ablehnten, unterblieben. In diesem Zusammenhang schildert ein Kollege das Vorgehen mancher Heilpraktiker und Naturheilärzte:
„…sie [die Patienten] bezahlen. Also die Musik spielt, solange sie’s wollen und auch nach ihrer Melodie. Es wird intensiv eingegangen auf ihre Vorstellungen, die mögen noch so abstrus sein, von Krankheit.“ (5:1736)
Andere Diskutanten sehen diese Situation, z. B. durch eine Ausweitung von Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) als zumindest zwiespältig an, da sie neben Vorteilen auch einen Verlust der Wirksamkeit der „Droge Arzt“ mit sich bringe:
„Wenn Leute bei mir IGeL bezahlen, habe ich automatisch eine geringere Autorität. Und das gleiche passiert beim Heilpraktiker… Aber immerhin, es hat auch einen Vorteil: Weil es die Angst nimmt und weil man so jemandem auch eher mal zuhört und sich von so jemandem auch eher verstanden fühlt. Weil die Gefühlsseite oft besser klappt, wenn man sich mehr auf einer Augenhöhe wähnt und nicht so majorisiert, bevormundet.“ (5:733).
In allen drei Diskussionsrunden bemängeln die teilnehmenden Ärzte, dass der Faktor Zeit im aktuellen Gesundheitssystem nicht ausreichend honoriert werde. Da Zeit mit und für den Patienten bei vielen KM-Methoden eine tragende Rolle spiele und auch von Patienten als eines der wichtigsten Stärken von KM genannt werde, wäre laut Meinung der Ärzte schon über eine bessere Honorierung der sprechenden Medizin ein wichtiger Schritt für KM getan. In diesem Zusammenhang zeigen sich die Ärzte über die neue Vergütungsregelung z. B. bei der Akupunktur wenig erfreut, welche sie als völlig unterfinanziert ansehen, da die Zeit, die man z. B. im Vorfeld für eine eingehende (chinesische) Diagnose oder auch für im Behandlungsverlauf notwendige Zwischengespräche brauche, nicht ausreichend berücksichtigt sei. Von einigen Diskussionsteilnehmern wird argumentiert, dass Zeit und das Eingehen auf den Patienten ein Teil des Therapieeffektes bei der Akupunktur ausmache, weshalb viele die Akupunktur unter diesen Rahmenbedingungen mit niedriger Vergütung nicht durchführen wollen:
„Das bringt uns wieder dieses Zeitfenster…, dass du Akupunktur in einer Minute setzst, dass du das Andere dann noch in drei Minuten bringst, dass du pro Tag so und so viele Hydrotherapien machst. Das ist halt die Frage...“ (4:658)
Also insgesamt eine durchaus differenzierte Sicht auf das Miteinander zwischen Arzt und Patient.
Zum Schluss der Serie werden wir uns noch mit dem Eigenschaften der angewendeten Methoden beschäftigen.
Ihr
Berthold Musselmann