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Die Erkrankung verstehen: Verstopfung

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Entgleisung einer (Mikro-) Gesellschaft

Darmprobleme wie Verstopfung sind auf dem Vormarsch. Schuld ist nicht nur die neue Lebensweise, sondern auch die Überalterung der Bevölkerung. Bei der Verdauung spielen eben sehr viele Systeme ineinander, so dass der Darm störanfällig ist. Es gibt also nicht „die Verstopfung“, man kennt diverse Unterformen davon. Wesentlich dabei ist die aktive Darmbewegung.

Definition

Die Wurmbewegung in Gefahr

Der Darm ist ein Muskelschlauch. Durch eine fortlaufende Muskelbewegung laufen beständig Wellen von Spannung und Entspannung über den Darm. Damit wird der Inhalt gezielt in eine Richtung geschoben. Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu verstehen, dass sich ein gut gefüllter Schlauch besser bewegt als ein schwach gefüllter. Wenn wir aber nur Fett, Zucker, Protein und weißes Mehl aufnehmen, wird die Nahrungsmasse fast vollständig verdaut. Die Reste sind trocken und bröckelig hart. Wenn kein Sport und keine Aktivitäten die Reste lösen, bleiben sie dort wo sie sind. Das erschwert den Transport erheblich, die Darmpassage dehnt sich aus: Mehr als drei Tage Transitzeit ist nicht mehr normal. Die Liste der Störungen ist weitaus länger:

Öffnung verwehrt: Stuhlentleerungsstörung

Manchmal ist im Darm alles in Ordnung, nur der Auslass ist behindert. Der After und der Beckenboden sind mehrfach durch Muskelsysteme gesichert. Doch je komplizierter das System, umso leichter können sich Probleme einschleichen. Wenn das Gewebe seine Kontraktionsfähigkeit verliert, Nerven erkranken oder Muskeln nicht entspannen können, Verengungen und Narben vorliegen: Der Enddarmspezialist (Proktologe) kennt unzählige Vorgänge, die zum Problem werden können. Und nicht immer ist der Körper schuld. Manchmal ist es einfach nur altersbedingte Gewebeschwäche oder auch nur die Psyche. Die Seele spricht eben manchmal aus dem Bauch…

So hat sich einiges geändert…

Früher hat man die Befindlichkeitsstörungen bei Verstopfung als Einbildung abgetan. Verstopfung war bisher kein eigenständiges Krankheitsbild. Aber in der Medizin beginnt ein Umdenken, nachdem man gelernt hat, wie sehr der Darm („das Mikrobiom„) den Stoffwechsel beeinflusst. Die Stoffe der Darmflora gelangen nämlich ins Blut. Die Folge können nicht nur Kopfschmerzen und Hauterkrankungen sein, auch die Stimmung und das Immunsystem leiden. Für Depression, Multiple Sklerose, Rheuma, Diabetes, Übergewicht und entzündliche Darmerkrankungen steht bereits das Mikrobiom des Darms auf der (Mit-) Täterliste.

Heute beginnt man den Darm in seiner Komplexität zu würdigen. Erste moderne Medikamente sind im Anmarsch, aber in weiten Strecken beruft sich hier auch heute noch die moderne Medizin auf altbewährte Maßnahmen. Der Körper steckt eben immer noch in der Steinzeit fest. Haben Sie einen guten Weg zurück zur Natur, der Weg lohnt sich.

Formen

Man unterscheidet verschiedene Formen der Verstopfung (habituelle Obstipation):

  • Schwere Darmträgheit (Slow-Transit-Obstipation): Der Darm ist träge und braucht mehr als drei Tage den Kot vom Magen Richtung Ausgang zu bringen. Der Ladung wird aber beständig das Wasser entzogen, darum wird der Inhalt hart, rau und schwer beweglich. Die „Kolontransitanalyse“ zeigt wie lange die Passage braucht.
  • Verstopfung mit Krämpfen (spastische Obstipation): Die Muskulatur ist zwar aktiv, der Darminhalt wird aber nicht bewegt und verbleibt zu lange im Magendarmkanal. Diese Form ist häufig chronisch. Es kann durch Verkrampfungen der Darmmuskulatur auch zu schmerzhaften Bauchbeschwerden kommen. Gelegentlich ist Verstopfung auch mit einem Reizdarm verbunden.
  • Verstopfung durch Medikamente: Die meisten Medikamente werden über den Darm aufgenommen. Leider üben sie gerade dort auch viele Nebenwirkungen aus. Viele Medikamente beeinflussen den Darm und die Darmflora (Ursachen) mit der Folge Verstopfung.
  • Verstopfung durch einen spannungslosen Darm (atonische Obstipation): Hier ist der Darm träge, und die Muskulatur arbeitet nicht kräftig genug. Diese Form tritt sehr häufig bei Diabetikern, Personen mit Nerven-Muskelerkrankungen oder Unterfunktion der Schilddrüse auf.
  • Verstopfung durch Enddarmprobleme (anorektale Obstipation): Im Enddarmbereich führen diverse Störungen zu Verstopfung. Das kann verschiedenste Aspekte betreffen: Verengung des Darmausgangs, Missbildungen, Gewebeschwäche. Darmbereiche treten aus dem After aus: Rektumprolaps, Analprolaps, Enddarmaussackungen (Rektozele), Gestörtes Muskelspiel im Enddarmbereich, inklusive fehlender Nervensignale. Hier verspürt der Patient kein Bedürfnis, die Toilette aufzusuchen, da der Enddarm kein Signal zur Entleerung sendet.

Häufigkeit

Meist leiden ältere Menschen unter Verstopfung. Nach Schätzungen sind etwa 30-50 % der Bevölkerung zumindest zeitweise davon betroffen. Etwa 30 % greift zu Abführmitteln.

Frauen leiden öfter unter Verstopfung, vor allem in der zweiten Zyklushälfte. Daneben sind Störungen des Beckenbodens nach Geburten oder im Alter häufiger anzutreffen.

In den letzten Jahren stieg der Anteil unter den Kindern erheblich an.

Ursachen

Bei Verstopfung ist die Darmpassage verlangsamt. Das führt dazu, dass das im Stuhl enthaltene Wasser mehr und mehr resorbiert wird. Die Folge ist, dass der Stuhl austrocknet und noch schwerer gleitet.

Neben dem Alter ist eine sitzende und bewegungsarme Lebensweise schuld an der Verstopfung. Auch eine Ernährung, die arm an Ballaststoffen ist, trägt dazu bei. Harmlos und vorübergehend ist eine Verstopfung, die durch Fasten und Flüssigkeitsmangel ausgelöst wird. Auch in der Schwangerschaft oder bei Übergewicht kann Verstopfung auftreten. Typischerweise stellt sich Verstopfung auch bei längerer Bettruhe ein. Viele Menschen reagieren auch auf Ortswechsels oder andere Kost auf Reisen mit Darmträgheit. Daneben spricht der Darm auf veränderter Tagesrhythmik und Jet-lag an.

Der Darm hat eine besondere Beziehung zu den Gefühlen. So können auch psychosomatische Beschwerden zu Verstopfung führen.

Daneben gibt es einige Krankheiten, die mit Verstopfung verbunden sind:

  • angeborene Darmveränderungen (Megacolon, Dolichokolon) und Fehlbildungen
  • Bindegewebserkrankungen (Kollagenose)
  • Darmentzündungen und Darmkrankheiten (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Reizdarm)
  • Darmkrebs, Polypen, Darmgeschwüre, Darmverschluss (Ileus)
  • Entzündung des Eileiters (Adnexitis)
  • Gallensteine mit Gallenstau (Cholezystitis)
  • Gestörter Mineralhaushalt (Hyperkaliämie), chronischer Flüssigkeitsverlust
  • Lebensmittelunverträglichkeiten (Zöliakie, Laktoseintoleranz)
  • Magersucht
  • Nervenkrankheiten (Parkinson, Alzheimer, Bandscheibenvorfall, Querschnittslähmung, Arteriosklerose im Gehirn, Tumore im Gehirn, Schlaganfall, Nervengifte wie Alkohol, diabetische Polyneuropathie)
  • Lähmungen, Muskelerkrankungen
  • Nierenschwäche (Niereninsuffizienz)
  • Operationen im Bauchraum mit Narben und Verwachsungen, Verengungen
  • Schilddrüsenunterfunktion, Jodmangel und andere Hormonstörungen
  • Störung der Dünndarmfunktion und Malabsorption
  • Tumore im Darm oder Genitalsystem
  • Zuckerkrankheit (Diabetes)

Manchmal ist die Verstopfung von der Medizin „selbst gemacht“. Bestimmte Medikamente legen den Darm lahm:

  • Medikamente: Schmerzmittel (Opiate), Hustenblocker (Codein)
  • Psychopharmaka (Antidepressiva, Neuroleptika, Beruhigungsmittel),
  • Blutdrucksenker (Kalziumblocker, Diuretika)
  • Antiepileptika
  • Anti-Parkinsonmedikamente
  • Lipidsenker (wie Cholestyramin)
  • Mittel gegen Inkontinenz (Anticholinergika)
  • Antibiotika (Floxacine)
  • Krebsmittel/Zytostatika, Mittel gegen Übelkeit
  • Supplemente und Medikamente mit Kalzium, Eisen und Aluminium (Magenübersäuerung)
  • Hormon zur Empfängnisverhütung (Gestagene)
  • Missbrauch von Abführmitteln

Grüße aus der Urzeit – der Darm will seine natürlichen Reize

Unser Körper hat sich in einer langen Evolution optimal entwickelt. Kein Wunder, wenn es bei fehlenden Reizen zu Problemen kommt. „Normal“ für den Darm ist körperliche Bewegung und ein üppiges Angebot an Ballaststoffen. Stress, künstliche Rhythmen, keimfreie und energiedichte Nahrung – für diese Umstände sind wir nicht angepasst. So ist das Motto der Vorbeugung schlicht und ergreifend: Zurück zur Natur!

Übrigens ist auch die sterile Nahrung ein Grund für den Toilettenfrust: Schwach pathogene Bakterien lösen unter natürlichen Bedingungen immer wieder Durchfälle aus. Heute greift man daher zu „lebendigen“ also fermentierten Lebensmitteln.

Verlauf und Komplikationen

Verstopfung verläuft in den meisten Fällen chronisch und über Jahre. Wenn man an der Lebensweise nichts ändert, kann auch der Darm nicht gesunden.

Wenn Verstopfung plötzlich auftritt, ist dies ein Grund für einen zügigen Arztbesuch.

Komplikationen

Viele Formen der Verstopfung sind zwar lästig aber harmlos. Es sollte jedoch immer abgeklärt werden, ob die Verstopfung durch eine andere Krankheit ausgelöst wird, beispielsweise kann die Darmpassage durch einen oder Narbengewebe blockiert sein. Solche Veränderungen entstehen bei chronischen Darmentzündungen (Colitis ulcerosa und Morbus Crohn). Auch Gallensteine können so zum Hindernis werden.

Ist der Bauchraum zu voll, dehnt er sich in den Oberkörperaus und bedrängt die Lunge und das Herz (sog. Roemheld-Syndrom). Dadurch ist die Atmung behindert und es können Herzbeschwerden folgen.

Bei Defäkationsproblemen entstehen häufiger auch weitere Darmprobleme. Die Afterhaut kann bei hartem Stuhl einreißen (Analfissuren). Rauer Stuhlgang reizt manchmal die Afterhaut und löst schmerzhafte Entzündungen aus. Wenn die Betroffenen mit heftigem Pressen reagieren, belastet das die Venen und die Darmwand: Hämorrhoiden und Divertikel bilden sich bei Verstopfung häufiger. Wie bei jeder Kraftanstrengung auch, schnellt dann der Blutdruck in die Höhe. Mitunter verschlimmern sich dadurch Brüche (Hernien).

Der Enddarmbereich reagiert empfindlich auf verschiedene Störungen. Die Folge ist eine Schließmuskelverspannung und entsprechende Defäkationsstörungen.

Im extremen Fall bilden sich aus dem Stuhl Kotsteine. Dann verfestigt sich der Darminhalt durch fortgesetzten Wasserentzug. Normalerweise würde der Strom aus dem Darminhalt die Steine mitführen, das ist aber in Darmaussackungen (Blinddarm, Divertikeln) nicht möglich. Kotsteine lösen mitunter Entzündungen (Divertikulose) aus. Abszesse, Fisteln und Bauchfellentzündungen sind schwerwiegende Komplikationen davon.

Quellen/Weitere Informationen

Quellen

Weiter führende Links:

Weitergehende Informationen zur Verstopfung finden Sie beim

End- und Dickdarmzentrum Mannheim

Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ, das populärwissenschaftliche Buch von Giulia Enders.

Informationen über Essstörungen ANAD e.V.

Literatur

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Kasper, H.: Ernährungsmedizin und Diätik, 11. Auflage, Urban und Fischer Verlag, München, 2009

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Schilcher, H., Kammerer, S., Wegener, T.: Leitfaden Phytotherapie, 4. Auflage, Nachdruck, Urban & Fischer Verlag, München-Jena, 2010

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Schmiedel, V., Augustin, M.: Das große Praxisbuch derNaturheilkunde, Gondrom Verlag, Bindlach, 2004

Schmiedel, V., Augustin, M.: Leitfaden Naturheilkunde, 5.Auflage, Elsevier Verlag, München, 2008

Wagner, H., Wiesenauer, M.: Phytotherapie, 2. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 2003

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